Was man Studierenden (nicht) als Maxime mit auf den Weg geben sollte
Wer bislang noch Illusionen gehabt haben sollte über das Vorgehen der IT-Monopole aus dem Silicon Valley und deren Umgang mit Nutzerdaten oder Mitbewerbern, sollte den Vortrag von Eric Schmidt an der Stanford Business School hören oder lesen. Da Schmidt glaubte, dass es sich um eine interne Veranstaltung handelt, sprach er ungewohnt offen über Akteure, StartUps und den internationalen Wettbewerb. Seine Aufforderung: Klaut, was das Zeug hält, macht schnelles Geld und bezahlt mit den Erträgen auch die Anwälte. Das ursprüngliche Video wurde von Stanford kurz nach der Veröffentlichung gelöscht, aber im Web sind Text, Audio und Video abrufbar.
Anleitung zum Rechtsbruch
An der Stanford Graduate School of Business, einer Kaderschmiede der IT-Industrie des Silicon Valley, hielt Eric Schmidt* eine Rede vor Studierenden und rät unverhohlen zu Rechtsbrüchen und kriminellen Handlungen, um möglichst schnell möglichst viel Geld zu machen. Ausgangspunkt war die Diskussion über das angekündigte Verbot von TikTok in den USA. Die US-Regierung will nicht länger tatenlos zusehen, dass mehr als 170 Millionen US-Bürger über diesen Dienst von chinesischen Unternehmen (und chinesischer Regierungspropaganda) beeinflusst werden, fordert den Verkauf an ein US-Unternehmen und droht andernfalls mit Abschaltung. Der juristische Streit kann sich, in einem rechtsstaatlichen System mit Gewaltenteilung üblich, hinziehen, der Ausgang ist ungewiss. Der Vorschlag von Schmidt zum Thema:
„Die Regierung versucht gerade, TikTok zu verbieten. Wir werden sehen, ob das tatsächlich passiert. Wenn TikTok verboten wird, schlage ich vor, dass jeder Einzelne von Ihnen Folgendes tut. Sagen Sie zu Ihrem LLM Folgendes. Macht mir eine Kopie von TikTok, klaut alle Nutzer, klaut die ganze Musik, fügt meine Vorlieben ein, produziert dieses Programm in den nächsten 30 Sekunden, veröffentlicht es und macht in einer Stunde, wenn es nicht viral geht, etwas anderes nach demselben Muster. Das ist das Kommando. Bumm, bumm, bumm, bumm.“ (Schmidt 2024)
LLM sind die derzeit viel diskutierten „Large Language Models“ der generativen KI, mit denen ChatBots wie ChatGPT (Open AI), Bard (Google), Llama 3 (Meta) oder Grok (Musk) arbeiten. Das Problem: Um die notwendige Datenbasis für diese Bots zu bekommen, wird das gesamte Web samt angeschlossener Datenbanken und Bibliotheken gescannt, ohne Rücksicht auf Urheber- oder Lizenzrechte. Das heißt: Der aktuelle Hype um generative KI und ChatBots steht schon jetzt rechtlich auf wackligen Füßen, unzählige Prozesse wegen Verstößen gegen Urheber- und Lizenzrecht bzw. die Verletzung von Persönlichkeitsrechten sind anhängig. Statt nun Vorschläge zu machen, wie man rechtskonforme Lösungen entwickelt, was Eric Schmidt als Informatiker mit seiner Berufserfahrung in IT-Unternehmen können müsste, animiert er zum Rechtsbruch.
„Wenn Sie ein Unternehmer aus dem Silicon Valley sind, was Sie hoffentlich alle sein werden, dann würden Sie, wenn es ein Erfolg wird, eine ganze Reihe von Anwälten anheuern, um den Schlamassel zu bereinigen, richtig? Aber wenn niemand Ihr Produkt nutzt, spielt es keine Rolle, dass Sie den gesamten Inhalt gestohlen haben.“ (Schmidt 2024)
Diese Strategie erinnert eher an Scientology und Ron Hubbard („Make money, make more money. Make other people produce so as to make more money“) als an das einstige Ideal von Google: „Dont be evil“. Jetzt heißt es: Brich die Regel, kümmere Dich nicht um Gesetze. Mach Dein Ding. Wird es ein Flop, interessiert es niemanden. Bei Erfolg ist genug Geld da, auch für Anwälte Das ist eine gewagte Strategie. Kommerzielle Partikularinteressen eines Unternehmens sind wichtiger als demokratische Rechts- und Wirtschaftssysteme oder die Verantwortung für mögliche Folgen? Wer genug Geld generiert, kauft sich durch teure Anwälte und langwierige Prozesse frei?
Aus Theorie wird Praxis und Kommerz
Das ist das Prinzip von Korruption und Rechtsbeugung durch Bestechung. Das ist das Ergebnis,wenn nicht mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Techniken wie die Kybernetik diskutieren wie bei den Macy-Conferences (1946-1953), sondern Investoren und Techniker mit Marketingvertretern und Juristen. (Die Kybernetik ist die Grundlage heutiger KI-Systeme und wurde erst 1956 aus Marketinggründen in Artificial Intelligence (AI) umbenannt.) Bedenken über den möglichen Missbrauch dieser Technologie formulierte Norbert Wiener, Namensgeber der Kybernetik, bereits in der Erstauflage seines Buchs Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine (dt. Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine) von 1948 (formuliert im November 1947):
„Diejenigen von uns, die zu der neuen Wissenschaft Kybernetik beigetragen haben, sind in einer moralischen Lage, die, um es gelinde auszudrücken, nicht sehr bequem ist. Wir haben zu der Einführung einer neuen Wissenschaft beigesteuert, die, wie ich gesagt habe, technische Möglichkeiten mit großen Möglichkeiten für Gut und Böse umschließt. Wir können sie nur in die Welt weitergeben, die um uns existiert, und dies ist die Welt von Belsen und Hiroshima. Wir haben nicht einmal die Möglichkeit, diese neuen technischen Entwicklungen zu unterdrücken. Sie gehören zu diesem Zeitalter, und das Höchste, was irgend jemand von uns tun kann, ist, zu verhindern, daß die Entwicklung des Gebietes in die Hände der verantwortungslosesten und käuflichsten unserer Techniker gelegt wird.“ (Wiener, Kybernetik, 1963 S. 61f)
Wiener antizipierte noch vor den ersten kommerziellen Anwendungen dieser Automatisierungs- und Steuerungssysteme (nichts anderes ist KI) die Missbrauchspotentiale dieser Technologie. Heute zeigt die Praxis, dass genau diese Techniken in den Händen der „verantwortungslosesten und käuflichsten unserer Techniker“ liegen, von A wie Sam Altman von Open AI (mit Microsoft als Investor im Hintergrund) bis Z wie Marc Zuckerberg von Facebook/Meta und für eigene, rein kommerzielle Zwecke missbraucht werden.
Dass es bei Facebook nur um Geld geht, kann man im Buch von Francis Haugen nachlesen, die als Whistleblowerin interne Dokumente von Facebook öffentlich gemacht hat (Haugen: Die Wahrheit über Facebook, 2023). Das führte u.a. zur einer Sammelklage von mehr als 30 Bundesstaaten der USA wegen Gesundheitsschäden bei Jugendlichen (Klageschrift (PDF, engl., 233 Seiten): CV-05448 US-Bundesstaaten v. Meta Platforms).
Dazu kommen irrlichternde Figuren wie Elon Musk, der das ehemalige Twitter, von ihm umbenannt in X, zu einem Kanal für Hate Speech und Fake News verwahrlosen lässt (und nebenbei Tesla ruiniert). Dazu gehören Investoren wie Musks ehemaliger Mitstreiter bei Paypal, Peter Thiel, heute Investor und bekennender Libertärer. Thiel würde die politische Verantwortung und Entscheidungsbefugnis am liebsten ganz den IT-Konzernen überantworten, weil unternehmerische (!) Freiheit und Demokratie nicht kompatibel seien. Larry Page (Google) hatte sich schon vor Jahren beklagt, dass viele ihrer Ideen nicht umzusetzen seien, weil es Gesetze gäbe, die das verbieten würden.
Dazu gehören Investoren wie Marc Andreessen und sein Partner Ben Horowitz, die Risikokapital für StartUps aus dem IT- und KI-Bereich offerieren und sich mit ihrem „Techno-Optimist Manifesto“ als Vertreter eines ungebrochenen Fortschrittsglaubens (Solutionism: Es gibt für alle Probleme dieser Welt technische Lösungen) zu erkennen geben. Sie propagieren im Papier „Why AI will save the world“ eine allgegenwärtige digitale Nanny für alle, die letztlich als Instrument der Gegenaufklärung jederzeit Rat weiß, den Menschen sämtliche Entscheidungen abnimmt und so die digitale Abhängigkeit und Unmündigkeit perfektioniert.
Man sollte diese KI-verherrlichenden Texte ebenso lesen wie den im Kern zynischen Vortrag von Schmidt über die vermeintlichen Vorrechte der Tech-Miliardäre, die nach eigenen Regeln handeln, um zu versehen, dass unter dem Deckmantel technischer Innovationen marktradikale kommerzielle Projekte ohne Rücksicht auf bestehende Rechtssysteme realisiert werden. Man muss Eric Schmidt vielleicht sogar dankbar sein dafür, dass er in einem vermeintlich geschützten Raum mit zukünftigen Verantwortlichen in IT-Unternehmen so offen gesprochen hat, wie diese Märkte funktionieren und wie diejenigen agieren (sollen), die sei bespielen.
Es gibt, heißt das, keine Ausreden mehr beim Mitmachen.
*Eric Schmidt, Elektrotechniker (B.Sc.) und Informatiker (MA und PH.D.) war von 2001 bis 2011 Chief Executive Officer (CEO) bei Google, anschließend bis 2017 Aufsichtsratsvorsitzender der Mutterfirma Alphabet und bis 2019 technischer Berater bei Alphabet.
Quellen und Links
Das Video des Vortrags von Eric Schmidt wurde auf Antrag von Alphabet/Google bereits gelöscht.
Schmidt, Eric (2024) The Age of AI (Vortrag Stamford Graduate Schol
– Textversion des Vortrags in Stanford: The Age o _AI; Eric Schmidt
– Audiomitschnitt: Eric Schmidt, The Age of AI, Stanford
Rehfeld, Nina (2024) Erst rauben, den Rest machen die Anwälte.
Der frühere Google-Chef Eric Schmidt spricht Klartext über den Markt der Künstlichen Intelligenz, FAZ vom 20.08.2024, S. 13