Große Aufregung herrscht aktuell über eine neue Studie zur Lese- und Schreibkompetenz (genauer: Inkompetenz) von Studierenden. Erstsemester hätten massive Lücken in Rechtschreibung und Orthographie, der Beherrschung von Grammatik und Syntax. Auch gebe es, so der Bayreuther Philologieprofessor und Vorsitzende des Philosophischen Fakultätentages Gerhard Wolf am Montag im Deutschlandradio Kultur, “mangelnde Fähigkeiten, selbständig zu formulieren und zusammenhängende Texte zu schreiben”. Studienanfänger seien nicht in der Lage, den roten Faden eines Textes zu erkennen oder schlüssige Mitschriften aus Vorlesungen anzufertigen. Wer den Namen Gerhard Wolf zusammen mit “Studie” in einer Suchmaschine eingibt, bekommt das Medienecho von Bild über Spiegel bis Welt aufgelistet.
Die Ergebnisse der Befragung von 135 Fakultäten sind möglicherweise erschreckend. Nur würde man die Studie gerne lesen, bevor man zu einem eigenen Urteil kommt. Einzelne Passagen der Studie scheinen zumindest dem Deutschlandradio Kultur vorzuliegen, aber wo ist die Studie als Ganzes zu finden? Bei dieser breiten – und im Tenor einhelligen – Medienresonanz wäre das Studium der Studie selbst der logisch nächste Schritt. Zumindest online ist sie derzeit nicht zu recherchieren. Wer sich mit dem “Design” und der Auswertung von Studien beschäftigt, weiß, wie sensibel schon die gestellten (und nicht gestellten) Fragen sind, wie prägend die Bewertungskriterien oder einzelne Formulierungen sein können etc. Auch eine so elementare Frage wie die, wer diese Studie in welchem Kontext in Auftrag gegeben hat, wäre für die (Be)Wertung der Resultate von Relevanz.
Denn aus der Intention der Initiatoren ergeben sich möglicherweise bereits die Forderungen, die aufgrund einer solchen Studie zu erwarten sein dürften: die erneute Forderung nach bundesweiten Bildungsstandards etwa (trotz Bildungshoheit der Länder), die Forderung nach einem Zentralabitur (außerhalb der länderspezifischen Curricula und zusätzlich zu den bisherigen Abiturprüfungen), vielleicht auch ein allgemeiner Hochschuleingangstests selbst bei bescheinigter “Allgemeiner Hochschulreife” oder ähnliches.
Das muss so nicht sein. Vielleicht stehen auch ganz andere Absichten hinter dieser Studie und deren Publikation vor der Sommerpause. Nur wüsste man darüber gerne mehr – und nicht nur über das sich ändernde Sprachvermögen und Sprachverhalten von Studierenden, das in der Tat nicht nur Lehrende in philologischen Fächern beobachten.
Quellen: Studie fördert bestürzende Lücken bei Studienanfängern zutage
Interview mir Prof. Dr. Gerhard Wolf, 23.07.2012 · 11:07 Uhr , DRadio Kultur