Konsumräume

Klaus Wörner im Oleofactum

Klaus Wörner im Oleofactum

Ausstellung „Konsumräume“ von Klaus Wörner

Oleofactum, 23. März 2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn man gebeten wird, eine Ausstellung zu eröffnen, gibt es verschiedene Optionen, sich einem Werk zu nähern: biographisch, technisch, kunsthistorisch, ästhetisch. Nehmen wir von allem ein wenig, auf die Mischung kommt es an.

Naheliegend ist der biographische Einstieg, weil die soeben von Klaus Wörner und seiner Band gespielte Musik noch nachklingt. Klaus Wörner ist den meisten von Ihnen als Musiker bekannt. Heute zeigt er aber auch Arbeiten aus dem visuellen Spektrum. Die Kombination von musikalischer und bildnerischer Begabung ist nicht selten bei musischen veranlagten Menschen, gleichwohl prägend für einen Kunstschaffenden, weil Klaus Wörner gleiche Arbeitsprozesse in unterschiedlichen Ausgabemedien praktiziert. Musiker und Bildende Künstler erarbeiten Kompositionen, mal aus Tönen, mal aus Farben und Formen. Musiker befassen sich mit akustischen, bildende Künstler mit  visuellen Räumen, mal sind Klangfarben, mal Körperfarben das Material, mal ist eine akustische, mal eine visuelle Harmonie – oder auch Dissonanz – das Ziel.

Ich behaupte aber, dass sich aus der Verbindung von Musizieren und bildnerischem Arbeiten wechselseitige Einflüsse ergeben und sich die ästhetischen Qualitäten des Musizierens im Bildwerk wiederfinden und umgekehrt. Im konkreten Beispiel, bei den Arbeiten von Klaus Wörner, ist diese Parallelität bis  auf die Objektebene zu verfolgen. Um es mit einer musikalischen Metapher zu umschreiben: Da hängen Partituren an der Wand, bei denen nicht der einzelne Ton, nicht das einzelne Bildelement entscheidend ist, sondern das Zusammenspiel und die Organisation als Einheit.

Handwerk: Das beginnt ganz trivial beim Handwerk. Für Musiker ist es selbstverständlich, ihr Instrument zu beherrschen und z.B. regelmäßig zu üben. Disziplin, Fleiß und Ausdauer  braucht es auch beim bildnerischen Gestalten und hier sind Musiker schlicht im Vorteil. Das regelmäßige „Machen“ als Selbstverständnis führt beinahe zwangsläufig zum souveränen Umgang mit den „Werkzeugen als Instrumenten“. Dieses Handwerk, bei den alten Griechen „techné“ oder „ars, bei den Lateinern „artes“, ist die Basis dessen, was wir heute die Künste nennen, Künste im Plural und in der engen Bindung an das handwerkliche Können. Wir sprechen dabei vom praktischen Wissen der Poiesis und der Kunstfertigkeit. „Kunst“ kommt zwar nicht von Können allein, aber wie beim Musizieren schadet das Können nicht beim Spielen des Instruments, auch wenn das hier benutzte Instrument bedrucktes Papier ist.

Oleofactum: Diese Bindung an Handwerk und Können, diese bewusste Verankerung in der Tradition ist auch das Bindeglied zum Ausstellungsort, der Ölmühle Oleofactum. Über Geschichte und Bedeutung von Öl als Kulturgut  sage ich wohlweislich nichts. Das übernimmt bei Bedarf Walter Bitzer, unser Offenburger Ölmüller. Aber die Verankerung des bildnerischen Gestaltens in Handwerk und Tradition ist das Bindeglied sowohl zum Ausstellungsort wie zum Deutschen Werkbund (DWB), der sich ja ebenfalls um die Verbindung und wechselseitige Integration der Künste verdient gemacht hat.

Technik: Zum Handwerk gehört die Technik. Was Sie hier an (meist großformatigen) Arbeiten sehen, sind Collagen. Das Prinzip der Collage ist im Kern uralt, auch wenn wir es kunsthistorisch meist mit Arbeiten aus den 1920er Jahren verbinden, mit den DADA-isten in Zürich und Berlin, mit John Heartfield und seiner politischen Propaganda in den späten 1920ern oder vielleicht noch mit dem Hannoveraner Kurt Schwitters und seiner Merz-Kunst. Näher liegen vielleicht die politischen Plakat aus den 1968er und Folgejahren und Klaus Staeck als einem der bekanntesten Plakat-Propagandisten. Das „Prinzip Collage“ bedeutet aber nichts anderes, als Material zu einem neuen ganzen zusammenzufügen. Auch eine Collage ist eine Partitur, ein Ganzes aus vielen einzelnen Elementen, das man zwar vermeintlich „auf einen Blick“ erfasst, die man aber Stück für Stück lesen muss, wenn man sie tatsächlich sehen will.

Im engeren Sinn bedeutet Collage  „kleben“ und bezeichnet meistens Arbeiten aus Papier. Arbeiten aus Papier sind auch die Collagen, die Sie hier sehen. Und wie Kurt Schwitters, der einfach alles, was in Hannover auf den Straßen zu finden war, mit nach Hause nahm und in seine Collagen und Assemblagen eingebaut hat, so benutzt auch Klaus Wörner etwas an sich sehr Profanes: Werbeprospekte. Dieses Material wird „frei Haus“ geliefert und meistens ungelesen entsorgt. Oder, wie hier, subtil zum Aufbaue der Collagen eingesetzt. Klaus Wörner arbeitet nicht mit Pinsel und Pigment, sondern mit Papierschnipseln und Planatol (Buchbinderleim). Und dieses Werbematerial wird mit der Schere zerlegt und sortiert wie Maler ihre Paletten zusammenstellen . Und dann beginnt der Bildaufbau …

Nah und fern: Schauen Sie sich die Arbeiten aus – aus zwei (!) Perspektiven. Mit Abstand sehen wir eine Gesamtkomposition, Stadtlandschaften, eine Einkaufspassage, etwas bunt vielleicht, aber perspektivisch korrekt (so scheint es auf den ersten Blick; Bildperspektiven gehorchen der Bildlogik, nicht der Optik.). Aus der Nähe aber lösen sich diese Arbeiten auf, in einzelne Schnipsel, Worte, Farbflecken. Wie bei einem Mosaik löst sich das vermeintliche „Bild“ Einzelteile und man sieht nur noch Schnipsel.  Anders aber als bei den Pointillisten – das sind die, die ihre Bilder nur aus einzelnen Farbtupfern aufgebaut haben  löst sich das Motiv aber nicht in einzelne Farbflecken auf, sondern kippt auf der Bedeutungsebene durch die lesbaren Texte. Es ist das bekannte  Wechselspiel aus Wort und Bild, die sogenannte Wort-Bild-Relation. Bilder verändern sich durch Text und umgekehrt. Wem aber glauben, wem vertrauen wir? Dem Auge und dem Bild-Motiv oder dem Wort-Bild?

Und wenn Sie dann so nahe vor einem der Bilder stehen, dass Sie die kleinen Texte und Worte lesen können: Was lesen Sie? Begriffe und Phrasen aus der Werbewelt, aus der Konsumwelt. Es sind Parolen und Phrasen aus dem Werbesprech der Marketinger, vielhundertfach wiederholt. Aus diesen Phrasen und Worthülsen bauen sich die „Konsumräume“ auf, wie diese Bildserie benannt wird.
Diese Konsumräume erweisen sich als Scheinfassade aus Papierschnipseln, eine aus Abstand prächtige  Fassade aus Werbemüll, ein Luftballon aus Glücksversprechen, der sich aus der Nähe als geschreddert erweist.
Semiotik:  Wenn man die Arbeiten Wörners daher mit dem semiotischen Modell analysiert – die Semiotik ist die Lehre von den Zeichen und den Zeichensystemen, also auch den visuellen Zeichen – kann man formulieren:

Auf der syntaktischen Ebene, dem Material, benutzt Wörner das, was uns täglich den Briefkasten verstopft und wendet es gegen die konsumistische Verstopfung, indem er daraus Motive der Konsumwelt, der Banken, des Kommerzes baut . Statt brav shoppen zu gehen entwickelt er daraus Bilder einer Scheinwelt, die in ihren „Bausteinen aus Papier“ das übergeordnete Thema der vollständig kommerzialiserten und ökonomisierten Welt, buchstäblich verinnerlicht haben.

Und so, wie Sie als Betrachterin, als Betrachter alleine durch den Abstand zum Bild wechseln können zwischen der schönen Welt der Oberfläche und des Scheins, wenn Sie nur weit genug Abstand halten, so schnell löst sich diese Welt in Druckerschwärze und Pigment und die immer gleichen Werbeslogans und Parolen auf, wenn Sie näher heran gehen. So kann man alleine durch den Wechsel des Betrachterstandorts und der Distanz zum Bild zwischen schönem Schein, Oberfläche und Fassade auf der einen und der Erbärmlichkeit des permanenten Imperativ des Kaufens und Konsumierens auf der anderen Seite wechseln.

Und vielleicht sind Sie als Kundin oder Kunde in dieser ach so schönen Warenwelt auch nichts anderes sind als ein „Schnipsel Papier“ mit den immer gleichen Parolen und Phrasen darauf? So sollten diese Arbeiten zumindest Anlass sein, genau hin zu schauen, was Fassade und Substanz ist und aus was sich unsere ach so schönen Scheinwelten zusammensetzen.