Systemfehler. Oder: Es gibt kein richtiges Leben im digitalen.

tech_philosophy

Beitrag zu den 16. Buckower Mediengesprächen 2012

Digitalien ist das neue Utopia. Internet und Web gelten als Fundament der Wissensgesellschaft und als Leitmedien der Zukunft. Mitmachen ist Pflicht, schon für Kinder und Jugendliche. Auch einer der mittlerweile obligatorischen Kompetenzbegriffe wird benutzt, in diesem Fall „Medienkompetenz“. Doch: In solchen Aussagen zeigt sich nur der typische Denkfehler des Massenmenschen als Konsumist. Er schwimmt im Schwarm, weder Weg noch Ziel kennend, noch sich eigene Gedanken machend, ohne Blick oder Idee für das Netz, mit dem der ganze Schwarm an Bord gezogen, ausgenommen und als Ware auf den Markt geworfen wird. Dass Schwarmverhalten und (Selbst-) Vermarktung im „digitalen Zeitalter“ nicht „alternativlos“ sind, man anderes praktizieren und gleichzeitig mit digitalen Techniken arbeiten kann und so womöglich gar zur „Avantgarde“ der Computerei wird, zeigt dieser Beitrag.

Ein Schritt beiseite: Reflexion statt Schwarmverhalten

Ein Aufsatz des Philosophen Odo Marquardt trägt den Titel „Zukunft braucht Herkunft“, bei dem im Untertitel der Tenor benannt wird: „Philosophische Betrachtungen über Modernität und Menschlichkeit.“i Die Zwischentitel lauten: „Das Unbehagen an der Wandlungsbeschleunigung“; „Die Kürze des Lebens und die menschliche Langsamkeit“ und „Die neuen Medien und die alten Fertigkeiten“. Wer philosophisch zu denken gelernt hat, wird in etwa erahnen, wie Marquardt argumentiert. Der Text selbst beginnt mit den Sätzen:

„Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt. Ich beginne meine Trotzdemdenkerei“ hier ziemlich abstrakt, so daß ich jene Abstraktionspflichten, denen Philosophen nun einmal unterliegen, gleich zu Anfang erfülle.“ (Marquardt, Zukunft, 2003, S. 235)

Diesem Prinzip des „Trotzdemdenkens“ und der Abstraktionspflicht zu Beginn folgt auch dieser Aufsatz eines aus Sicht einiger „Netzjünger“ möglicherweise nicht mehr systemrelevanten, vorschnell als Kulturpessimisteniii diffamierten Autors, der allerdings seit 1990 (Print) bzw. 1995 (Websites) digital produziert, Gestaltung auch mit Digitaltechniken lehrt und ebenso lang zu Neuen Medien und Internet publiziert. Könnte es sein, dass sich nur die anfängliche Euphorie derer, die länger mit digitalen Geräten arbeiten, relativiert?

Systemrelevanz von Menschen?

Um eines gleich zu Beginn deutlich zu machen: Wer Menschen aufgrund der von ihnen vertretenen politischen, sozialen oder z.B. pädagogischen Positionen als „nicht systemrelevant“ bezeichnet, muss sich im Gegenzug fragen lassen, ob er weiß, was für ein inhumanes Menschenbild, was für ein autoritäres Systemdenken damit verbunden wird. Denn die Frage nach der Systemrelevanz von Menschen rekuriert notwendig auf das zugrunde liegende, „posthumanistische“ System(denken)i, bei dem Menschen durch Maschinen (bzw. heute: Computer)  ersetzt werden. Systeme sind, wie Märkte, Menschenwerk, die Begriffe „System“ oder „Märkte“ dienen lediglich dazu, das Handeln benennbarer Akteure zu anonymisieren. Das (technische) System bzw. genauer: die Initiatoren der Systeme bestimmen, was als „systemrelevant“ bezeichnet werden soll! Bereits diese Selektion ist ein autoritärer Akt. Die An- und Einpassung von Organismen (hier: Menschen) in Systeme mit dem Ziel der Verzweckung (als Arbeitskräfte, Konsumenten) führt nicht nur zwangsläufig zu Normierung und Standardisierung, sondern ist ein Akt der Aggression. Die angebotenen „Optionen“ sind Subordination oder Elimination, Integration oder Isolation. Mitmachen oder ausgegrenzt werden: schon sprachlich wird deutlich, was dem Einzelnen droht, so er oder sie sich nicht einfügt.
Nicht-Konformisten und Nicht-Digitalisten fehlt die erzwungene Konformität der „User“ (Nutzer von digitalen Systemen). Sie sind damit aus Sicht der Systembetreiber und ihrer Adepten nicht relevant.

Derr ganze Beitrag als PDF: Lankau: Systemfehler. Es gibt kei richtiges Leben im Digitalen (Buckow16)

Quelle: Felsmann, Klaus-Dieter (Hrsg.) [Welt, 2013]: Die vernetzte Welt: Eine Herausforderung an tradierte gesellschaftliche Normen und Werte, Buckower Mediengespräche 16, 2012, München: kopaed, 2013