Neues CHE-Wording: Was alles Hochschule werden soll?!

Wer die Hoffnung hatte, nach dem Scheitern der Bolognareform (alle propagierten Ziele der Reform wurden verfehlt), nach der Rücknahme des Zerrbilds der „unternehmerischen Hochschule“ durch neue Hochschulgesetze (BW und NRW, weitere folgen), nach dem Scheitern der Einführung von Studiengebühren nach amerikanischem Muster zwecks Merkantilisierung von Bildungsangeboten (alle Bundesländer haben die Studiengebühren mittlerweile zurückgenommen) oder auch trotz des Scheiterns der digitalen Hochschule (siehe die Diskussion zu eLearning und MOOC und Pias’ Unterrichtsmaschinen) …

Wer also gehofft hatte, das Centrum für Hochschulentwicklung würde sich mit weiteren Reformvorschlägen zurückhalten, verkennt dessen Selbstverständnis und selbsternannte Aufgabe: die Diskreditierung der öffentlichen Bildungseinrichtungen und Entwertung der öffentlichen (Hoch-)Schulen zugunsten der Privatisierung des Bildungsmarktes und der Etablierung privater Bildungsdienstleister. So muss man auch die Arbeitspapiere (AP) des CHE deuten, wenn im AP 174 behauptet wird, deutsche Hochschulen lieferten nur „Bildung von der Stange“ (um stattdessen standardisierende Online-Kurse zu propagieren) oder wenn das Arbeitspapier 176 vom Januar 2014 „Auch das ist Hochschule?!“ das bundesdeutsche Bildungsangebot „diversifizieren“ soll:

„Das CHE Centrum für Hochschulentwicklung fordert für Deutschland einen offeneren Hochschulbegriff. Nur mit diesem lassen sich Hochschulen so gestalten, dass sie sich auf die demographischen und gesellschaftlichen Herausforderungen einstellen können. Andere Länder sind in diesem Punkt bereits weiter, wie eine aktuelle CHE Studie zeigt.“ (Pressemitteilung)

Unterstellt wird für Deutschland ein eindimensionales Hochschulverständnis und ein homogenes, wenig ausdifferenziertes Bildungssystem, dem acht Beispiele für Hochschulformen aus anderen Ländern gegenüber gestellt werden. Zwar fällt auch den CHE-Autoren (spät, erst auf S. 26) auf, dass es mit Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen, mit dualen Hochschulen und vielerlei Fachschulen wohl gar keine so homogene Bildungslandschaft geben kann wie eingangs behauptet. Würden die Autoren ergänzend das Spezifikum der dualen Bildung mit Berufs- und Fachschulen einbeziehen und auch weitere Angebote wie Akademien, Konservatorien, Musik- und Kunstschulen oder Volkshochschulen berücksichtigen, wäre schnell klar, dass eine „fehlende Diversifizierung“ bundesdeutscher Bildungsträger und Institutionen nur behaupten kann, wer seine  eigene Agenda unabhängig vom tatsächlichen Bestand propagiert. Aber die angeführten Beispiele kann man ja mal betrachten und vergleichen.

Beispiele ohne Relevanz für Forderungen ohne Sinn

Das South Essex College zur Nachqualifizierung nicht-traditioneller Zielgruppen findet sein Äquivalent seit 1927 (!) im Abendgymnasium, an dem man sein Abitur berufsbegleitend erwerben kann. Nach einer Zwangspause in der NS-Diktatur wurden Abendgymnasien nach dem zweiten Weltkrieg wieder geöffnet und expandieren seit den 1960er-Jahren. National Hispanics University: Eine Hochschule für nur eine Sprachgruppe wäre wegen Diskriminierung der anderen Sprachgruppen hier gar nicht zulässig. Highlands und Islands: Deutschland ist weder extrem dünn besiedelt (University of Highlands) noch fehlt die Infrastruktur, um Studienstandorte zu erreichen (South Pacific). „Hochspezialstiere Hochschulen“ wie Hlar  mit sieben Professuren, 290 Studierenden und den drei Departments für Wasserbiologie, Pferdekunde und ländlicher Tourismus hat bestimmt Charme, dürfte aber als Vorbild für eine deutsche Hochschule selbst an der Küste etwas unterbelichtet sein.

Dass im CHE-Papier Anbieter von Massive Open Online Courses (MOOC) als Hochschulform genannt werden, ist eher dem Eintreten für und der Kooperation von Bertelsmann mit Iversity geschuldet als ein sinnvoller Vergleich, zumal MOOC als Variante des Maschinenlernens (Pias) erwartbar gescheitert sind. (Die Kurse sind mittlerweile kostenpflichtig, die Abbrecherquoten mit immer noch über 90% extrem hoch, trotz verpflichtender Präsenzzeiten und Mentorenprogrammen). Vollständig abwegig wird das nächste Beispiel im Arbeitspapier. Phoenix ist ein rein kommerzielles Unternehmen und

„ein nach Kennzahlen geführtes, profitorientiertes Unternehmen. Lehrende haben nur einen sehr geringen Autonomiegrad und sind nicht befugt, von den für alle 200 Standorte einheitlichen Curricula abzuweichen. Die meist berufstätigen Studierenden werden nicht als selbstständige, lerninteressierte Individuen betrachtet, sondern in erster Linie als zahlende Kunden, welche eine exzellente Dienstleistungsqualität erwarten.“ (AP 176, S. 17)

Diese Form von Lehrknechten ohne Autonomie und Lernenden als zahlenden Kunden mit Dienstleistungserwartungshaltung müsste selbst für Gütersloher Autoren als Modell für europäische Hochschulen indiskutabel sein, wird aber als Beispiel angeführt. Die Slow Food-Uni (Università di Scienze Gastronomiche) hat vielleicht die beste Mensa, ist dem Lehrangebot nach aber eine Fachschule, wie es sie für die Gastronomie oder das Hotelgewebe nicht nur im deutschsprachigen Raum mehrfach (und renommiert) gibt.

Die University of the People (UoPeople) schließlich hat sich der Volks-Bildung verschrieben, mit der “Vision von Bildung als Schlüssel zur Förderung des Weltfriedens und der Entwicklung der Weltwirtschaft”.  Das ist gewiss ehrenwert, korrespondiert aber eher mit ebenfalls sehr ehrenwerten Arbeiterbildungsvereinen (seit etwa 1830) und Volkshochschulen (ab Mitte des 19. Jh., eigene Gebäude nach 1919). Daraus die Forderung abzuleiten, das deutsche Hochschulsystem und das „restriktive Hochschulrecht“ gemäß solcher Nischenangebote zu ändern, darf man getrost verneinen, auch wenn Gütersloher Attacken auf das deutsche Rechtssystem zur Selbstüberschätzung gehören.

„In Deutschland ist man traditionell skeptisch gegenüber allem, was keine klassische Volluniversität ist. Doch eine solche Abschottung können wir uns nicht mehr leisten, wenn Hochschulbildung zur Regel und die Vielfalt unter den Studierenden zur Normalität wird.“ (Dräger, PM)

Die Prämisse der „Hochschulbildung als Regel“ ist eine OECD-Forderung (mehr als 50% eines Jahrgangs sollen studieren) und erfasst die Besonderheit des deutschen, dualen Bildungssystems nicht. Über die Vielfalt der Studierenden kann man sich seit Öffnung der Hochschulen zu Beginn der 1970er-Jahre freuen (oder lamentieren; seither studieren nicht mehr knapp fünf, sondern über 20% eines Jahrgangs mit entsprechend diversifizierter Studierendenschaft). Aber was zählen Historie und Fakten, wenn man nicht einen neuen Hochschultyp propagiert (die gibt es ja reichlich), sondern einen „offeneren Begriff“.

„jetzt braucht es keinen weiteren neuen Hochschultyp, sondern einen offeneren Hochschulbegriff, der auch innovative Profile zulässt“ (Dräger, PM)

Ausbildungsgänge alleine durch eine Änderung des Hochschulbegriffs zu „akademisieren“ ist – je nach Sichtweise – erheiternd albern oder anmaßend absurd. Die in der Praxis etablierte Vielzahl staatlicher und privater Bildungsträger mit staatlich anerkannten Abschlüssen lässt keinen Bedarf erkennen, zumal private Hochschulen und Universitäten eher durch regelmäßig drohende Insolvenzen oder staatsanwaltlicher Ermittlungen von sich reden machen denn durch innovative Lehrkonzepte (Soares, Elitenkollaps, 2014;  das ökonomische Versagen dieser selbst ernannten Elite-Anstalten wird man kaum dem Gesetzgeber ankreiden können und auch nicht durch „offenere Begriffe“ lösen).

Würde das CHE stattdessen zur Kenntnis nehmen, wie ausdifferenziert und diversifiziert das deutsche Bildungssystem bereits ist und dass Deutschland mit zweitem Bildungsweg, dualem Ausbildungssystem und einem mehrgliedrigen Hochschulsystem ein Erfolgs- als Exportmodell anbieten kann, das sich nicht durch hohe Pseudo-Akademikerquoten, sondern durch eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit bewährt, erwiesen sich die Arbeitspapiere des CHE als das, was sie sind: obsolet. Vielleicht könnten die Gütersloher einfach mal dem ehemaligen Stanford-Präsidenten Gerhard Casper zuhören, der heute noch dort lehrt:

„Im Bereich Fachhochschulen, Fach- und Berufsschulen kann man viel von Deutschland lernen“ (Brinck, Profit, 2014, S. 12)

und darauf hinweist, dass deutsche Unternehmen, die in den Staaten produzieren, dort gerade die Lehrlingsausbildung einführen. Die Zurkenntnisnahme der bereits praktizierten Diversität und Qualität des deutschen Bildungssystems erspart, heißt das, so manches Arbeitspapier und so manche Reform aus Gütersloh.

Der Beitrag als PDF: Lankau: CHE-Wording: Was alles Hochschule werden soll?!

Quellen und Links

Soares, u.a. [Elitenkollaps, 2014]: Philipp Alvares de Souza Soares, Eva Buchhorn, Michael O. R. Kröher und Klaus Werle: Elitenkollaps – private Unis im freien Fall

Brinck, Christine [Profit, 2014]: Profit gegen Wahrheit (Interview mit Gerhard Casper) in: SZ vom 24.09.2014, S. 12

CHE: Bischof, Lukas; Müller, Ulrich :Auch das ist Hochschule?

CHE: Digitalisierung der Hochschullehre: Potenziale noch weitgehend ungenutzt, Pressemeldung vom 30.10.2013

Dräger, Jörg [Vorlesung, 2013]: Jedem seine eigene Vorlesung, in: Die Zeit vom 21. November 2013, S. 99

Dräger, Jörg: Für Hochschulen neuen Typs, Handelsblatt vom 21.01., 21.1.2014

Lankau, Ralf [Propaganda]: Propaganda, Medien, Märkte oder: Wie man das Feld der Bildungsmärkte bestellt

Lankau, Ralf [Bildungsklick, 2014]: Gütersloher Bildungsk(l)ick. CHE empfiehlt die Standardisierung der Lehre und private Online-Angebote

Lankau, Ralf [MOOC, 2014]: Ohne Dozenten geht es nicht, in DIE ZEIT vom 9. Januar 2014, S. 61

Pias, Claus: Eine kurze Geschichte der Unterrichtsmaschinen, in: FAZ vom 10.12.2013