Ein bornierter Bildungsbegriff

oder: Plädoyer für ganzheitliche Bildung (2MBS* vor (M)INT**)

Einen bornierten Bildungsbegriff bescheinigt der Dirigent Kent Nagano den Ländern, die ihr Bildungssystem am PISA-Diktat ausrichten. Ein Land gelte als vorbildlich, wenn es beim normierten und normierenden Pisa-Test gut abschneide. Dadurch würden zugleich die Sprachen, die Künste und die klassische Musik unbedeutend. Das sei absurd und grundfalsch. Das erinnert an die gleichzeitige Fokussierung auf MINT-Fächer, auch wenn das im Kern lediglich eine Wiederholung der Fehlplanungen nach dem Sputnik-Schock ist.

Der von Wirtschaftsverbänden wiederholt beklagte Fachkräftemangel und die darob geforderten Bildungsreformen auch für die Hochschulbildung fokussieren wieder einmal, wie schon nach dem Sputnik-Schock 1957, auf die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Das ist die wiederholte, wissentliche und vorsätzliche Halbierung des menschlichen Erkenntnisvermögens. Anstatt Kinder und Jugendliche in allen kognitiven Sphären zu fördern – im Rationalen und Verbalen, im Handwerklichen ebenso wie im musisch-ästhetischen; Kognition im ursprünglichen Wortverständnis ist schließlich die Einheit von Denken und Handeln als Prozess der Poiesis, dem Hervorbringen von Werken im Tun –  wird wieder einmal auf nur einen Modus des Lernens, Erkennens und Wissens reduziert. Schule wird erneut als Vorstufe der Ausbildungsbetriebe definiert, bei der Interessenverbände ihre Anforderungen an das zu vermittelnde Fachwissen formulieren. Wirtschaftsverbände fordern Wirtschaft als Schulfach, die Informatik-Industrie fordert Informatik und Programmieren als Schulfach und jeder Berufs- und/oder Lobbyistenverband versucht, die spezifischen Interessen als eigenes Schulfach zu etablieren.  Wer sich mit der Geschichte von Bildungseinrichtungen beschäftigt, erinnert sich daher an den Sputnik-Schock und, als Folge,  an die Forderungen der amerikanischen Wirtschaft in den späten 1950er-und frühen 1960er-Jahren, die Schulen müssten möglichst früh auf den Ingenieursberuf vorbereiten.

Sputnik-Schock als Masterplan

Der erfolgreiche Start des ersten künstlichen Erdsatelliten „Sputnik 1“ am 4. Oktober 1957 durch die damalige Sowjetunion verdeutlichte unmissverständlich, dass „die Russen“ in Fragen der Raumfahrttechnologie den Amerikanern ebenbürtig waren.  Der Ostblock, wie es in diesem Schwarzweiß-Schema des Kalten Kriegs hieß, war in der Lage, das Territorium der Vereinigten Staaten mit Interkontinentalraketen zu erreichen – und diese Raketen konnten Nuklearsprengköpfe tragen. Das „Gleichgewicht des Schreckens“ (die vollständige Vernichtung des Gegners durch Atombomben) war zum Leidwesen der USA wieder hergestellt. Hegemonial- und Überlegenheitsanspruch des Westens in Fragen der Raumfahrt- und Waffentechnik erwies sich als illusionär. Das Wettrüsten begann, die Rüstungsindustrien beider Blöcke expandierten bis zum Exodus einiger Volkswirtschaften  in den Folgejahren.

Schulen als Vorschulen für den Ingenieur

Einer der wesentlichen  Gründe für den Verlust der technischen Vorherrschaft in Waffen- und Raumfahrttechnologie wurde im amerikanischen Bildungssystem gesehen, das  zu wenig auf die Beruf des Ingenieurs ausgerichtet gewesen sei…

Der ganze Beitrag als PDF: Lankau: Ein bornierter Bildungsbegriff und Alternativen (2MBS_vor (M)INT)

 * 2MBS: Mathematik, Musik Bewegung, Sprachen
** MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik