Von A bis Z: Für alles eine Company und eine App

Google buchstabiert mit „Alphabet“ die Welt als Code neu

Anfang August 2015 hat Larry Page die neue Unternehmensstruktur von Google vorgestellt. Unter dem Firmennamen „Alphabet“ bündelt die Holding alle Aktivitäten der einzelnen Sparten und zugekauften StartUps. Für Investoren wird die Struktur transparenter und die Steuervorteile werden auch nicht verschmäht. Aber es ist kein nur betriebswirtschaftlicher Umbau. Larry Page und Sergey Brin wollen nicht weniger als „die Welt und die Menschen“ neu programmieren.

Die Aufteilung des Groß-Unternehmens in einzelne Segmente ist nach Aussage von Wirtschaftsjournalisten primär steuertechnisch begründet und soll die Zerschlagung des Google-Monopols durch amerikanische Aufsichtsbehörden verhindern. Beispiele dafür gibt es. Aufgrund der marktbeherrschenden Stellung wurde die Zerschlagung von AT&T 1982 staatlicherseits angeordnet. Auch der langjährige Monopolist für Betriebssysteme, Microsoft, hatte wiederholt mit Kartellklagen sowohl der Europäischen Union wie der USA und/oder anderer Anbieter von Software zu kämpfen. Die Holdingstruktur von Alphabet minimiert die Gefahr der Klagen für das Gesamtunternehmen und delegiert mögliche juristische Auseinandersetzungen an Subunternehmen. Notfalls werden einzelne Dienste oder Sparten eingestellt oder verkauft.

Im Kern geht es dieser Holding um sehr viel mehr. Inhaltlich sollen nach und nach alle Aspekte des Lebens und des menschlichen Miteinanders vermessen, neu programmiert und mit Hilfe von Rechnern und Software zentral gesteuert werden. „Ich will die Welt verändern. Das ist die Aufgabe für Leute meiner Generation“ wird Andre Wegner, ein StartUp-Unternehmer im Silicon Valley in einem Beitrag über die digitale Revolution zitiert (Finkenzeller, 2015, S. 55) – und es ist zu befürchten, dass er es ernst meint. Es ist der Standardspruch der Silicon Valley Men aus der amerikanischen Sitcom „Silicon Valley“. Der Anspruch der Weltverbesserung per Code  dürfte auch für Alphabet/Google gelten.

Das Google-Alphabet: Allmacht, Allwissen, Unsterblichkeit

Das Unternehmen Baseline sammelt Daten von Ärzten, Krankenhäusern, Pharmaunternehmen (von Krankenakten bis zu genetischen Informationen und Molekularstrukturen), um herauszufinden bzw. zu definieren, was „Gesundheit“ sei. Auch die Daten der Self-Tracker und der Adepten des „Quantified self“ (QS), des sich selbst vermessenden Menschen, werden in diesen Datenbanken gesammelt und ausgewertet.

Calico hat das Ziel, das Leben der Menschen zu verlängern, indem das Altern immer weiter verzögert und letztlich „der Tod besiegt“ wird – so das Titelthema der amerikanischen Time schon im September 2013: „Can Google solve Dead?“. Bis zu 1,5 Milliarden Dollar sollen, zusammen mit Pharmaunternehmen, zur Erforschung und Bekämpfung der „vier apokalyptischen Reiter der Geriatrie: Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Demenz“ (Einecke, Werner 2015, S. 25) ausgegeben werden.

Deep Mind soll die menschliche Intelligenz entschlüsseln, letztlich ersetzen und die menschliche Kreativität mit der Geschwindigkeit der Rechner koppeln. Nest überwacht und steuert derweil die Wohnungen, während in Mountain View schon heute selbst fahrende Google-Cars unterwegs sind. Loon steht für Heißluftballons, die als fliegende Verteilerstationen überall den Zugriff auf das Internet ermöglichen. (Facebook probiert das gleiche mit Drohnen, beide Projekte für Fluggeräte werden von der NSA gesponsert, um weniger entwickelte Gebiete mit digitaler Infrastruktur versorgen und die Kommunikation der dort lebenden Bevölkerung mitschneiden und überwachen zu können.) Das Drohnenprojekt von Google heißt Wing und versorgt nicht nur Nerds und Geeks demnächst mit Lebensmitteln, Medikamenten und was man noch so normalerweise im Viertel oder Supermarkt kauft.

Die Suchmaschine Google bleibt weiterhin ein zentraler Dienst von Alphabet und behält den Namen bei. Das ist die „cash cow“, hier werden die meisten Benutzerdaten eingesammelt und Werbeeinnahmen generiert. Wichtiger noch ist die Funktion als Filter. Nur was sich „googeln“ lässt – mittlerweile ein Synonym für Suchen im Netz –  ist für die meisten Menschen überhaupt noch relevant. Und: Nur, was auf den ersten ein, maximal zwei Seiten steht, wird noch zur Kenntnis genommen. Google ist die Brille auf der Nase der Nutzer, ohne dass sie „Google Glasses“ (eine Datenbrille, die Informationen auf die Brillengläser projiziert und sich per Sprache steuern lässt) tragen. Das Großprojekt Google X schließlich versammelt Google Glasses, Selftracking und Quantified Self-Gadgets, die zuckermessende Kontaktlinse, Projekte für künstliche Haut u.v.m. , Körper, Geist und Umwelt werden digital kartiert und quantifiziert, mit Persönlichkeits-, Verhaltens- und Bewegungsprofilen kombiniert und die Nutzer via Web und App gesteuert.

Hybris zu Ende gedacht

Ray Kurzweil schließlich, einer der digitalen Vordenker des Silicon Valley, hat nicht nur die Singularity-University (u.a. mit Google-Geldern) gegründet, um einen Raum für „Fortschritt durch Technik ohne Denkverbote“(Finkenzeller 2015) zu schaffen. Er fordert gezielt Projekte und Ideen, um Krankheit und Behinderung durch systematische Eingriffe in Zellen und Erbgut auszumerzen. Eines der Ziele ist, nur noch gesunde Kinder zu züchten. Keine Denkverbote bedeutet hier: Eugenik auf Basis von Biochemie, Genetik, Molekularmedizin und Big Data. Er propagiert dabei (wieder einmal) die Unsterblichkeit des Menschen, wahlweise durch die Überwindung des Todes (Calico) oder alternativ durch den zu erwartenden Transfer des Bewusstseins des Menschen ins Web: den „point of singularity“.

Kurzweil glaubt, dass dieser „point of singularity“, an dem die Maschinenintelligenz die Menschen überflügelt und Maschinen sich selbst optimieren und (re-)produzieren, in den nächsten 20 bis 30 Jahren erreicht würde. Dann ist der Mensch an sich nutzlos und bestenfalls noch ein sich fortpflanzendes Tier in einer voll automatisierten und digitalisierten Technikumgebung. Bis dahin schluckt Kurzweil täglich zwischen 150 und 250 Tabletten, um gesund zu bleiben. Gegebenebfalls lässt er sich einfrieren, sollte er diesen Sieg der Technik über den schwachen Körper nicht mehr aus eigener Kraft lebend erreichen.

Das Alphabet als Hybris und Digitalwahns

Das sind nur ein paar Beispiele aus dem Alphabet des Google-Imperiums. Die Holding wird weitere Ideen entwickeln, Unternehmen aufkaufen und ergänzende Forschungsfelder erschließen. Eines wird jedoch jetzt schon klar: Das, was sich unter der Holding „Alphabet“ an Unternehmen versammelt, ist nicht mehr nur Ausdruck einer Technikeuphorie, sondern eines technischen Machbarkeitswahns. Aus dem Google-Spruch „Dont be evil“, sinngemäß übersetzt mit „Tue nichts Unrechtes“ (wörtlich „Sei kein Teufel“) wird durch die zunehmende Hybris der Vordenker Page, Kurzweil und Co. ein negatives Imperativ „Be God.“

Alle Menschen, die sich für Gottgleiche halten, über Leben und Tod bestimmen wollen und die Unsterblichkeit anstreben, negieren das Grundprinzip des organischen Lebens. Vor allem haben sie aber den Bezug zum und jeden Respekt vor dem Menschsein und jeglichem Leben verloren. Da drängt sich die Frage auf, warum sich vernunftbegabte Menschen von solchen, n ihren digitalen Blasen lebenden, Nerds und Geeks in ihrer digitalen Blase blenden lassen.

Quellen und Literatur

Boie, Johannes: A und O einer Weltmacht, in SZ vom 14./15.16.8.2015, S. 15,
Einecke, Helga / Werner, Kathrin: Das C im Alphabet, Süddeutsche Zeitung, 14./15./16.8. 2015, S. 25
Jansen, Jonas: Das ist Googles Alphabet, FAZ vom 11.08.2015
Kittler, Friedrich: Short Cuts, Frankfurt: Zweitausendeins, 2002
Keese, Christoph: Silicon Valley, München: Knaus, 2014
Müller von Blumencron, Matthias: Noch erscheinen die Diktatoren des Internets milde, in: FAZ vom 2.7.2015, S. 13; online unter dem Titel: Warum wollt ihr unseren Quatsch?
Postman, Neil: Die zweite Aufklärung, Berlin, Berlin-Verlag, 2001
Schirrmacher, Frank: Technologischer Totalitarismus, Frankfurt: Suhrkamp, 2015
Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer ist die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt: Suhrkamp, 1977

Der Beitrag als PDF: Das Google-Alphabet