Nebelkerzen statt Aufklärung

Im Dezember 2017 publizierte die Kultusministerkonferenz (KMK) eine Pressemeldung mit dem Titel „Erfolgreicher Unterricht ist digital – aber nicht ausschließlich“. Das dürfte alle wundern, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen. Die Mehrzahl wissenschaftlich valider Studien zeigte bislang keinen oder nur einen eher geringen Nutzen. Erfolgreicher Unterricht hängt vielmehr von qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern ab, so der Konsens. Haben nun die Kultusministerien den „Gral der digitalen Didaktik“ entdeckt?

Die Antwort lautet: Nein. Wie so oft wird der effekthascherische Titel vom Inhalt der Pressemeldung relativiert. Denn gleich zu Anfang wird die Erfolgsmeldung massiv eingeschränkt und zwar sowohl auf die Fächer Naturwissenschaft und Mathematik wie auf den Unterricht an weiterführenden Schulen (Sekundarstufe). Dass sich digitale Medien für den Unterricht in diesem Umfeld eignen, wird kaum jemand bezweifeln. Sind doch technische Hilfsmittel wie (Taschen-)­Rechner oder Computer dort schon lange üblich. Doch selbst da stellten sich die Lernerfolge nur ein, wenn digitale Medien ergänzend zum traditionellen Präsenzunterricht eingesetzt werden und Schülerinnen und Schüler dabei von den Lehrkräften unterstützt werden. Beim selbständigen Arbeiten mit Programmen seien positive Effekt gering. Darüber hinaus erwies sich der Einsatz digitaler Medien nur dann als hilfreich, wenn die Lehrkräfte vorher professionell geschult wurden.

Zu diesen wenig überraschenden – durch über 30 Jahre Erfahrung mit Rechnern an Schulen bekannten – Ergebnissen kam eine von der KMK in Auftrag gegebene Meta-Studie des Zentrums für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIM) der Technischen Universität München (TUM). Noch ist unbekannt, nach welchen Kriterien die beauftragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die 79 Studien aus der „schwer überschaubaren Fülle an Forschungsprojekten“ (PM der KMK) auswählten. Unbekannt ist auch das genaue Studiendesign, obwohl es zwangsläufig die Ergebnisse beeinflusst. Daher muss man fragen, welche Relevanz bzw. welches Ziel diese als Handreichung für die Praxis vorab publizierte Broschüre haben kann, die sich die KMK von den Wissenschaftlern vor der Veröffentlichung der Meta-Studie erarbeiten ließ.

Digitalisierungsstrategie der KMK

Die Broschüre richte sich an alle, die sich „für den Einsatz digitaler Medien im Unterrichtskontext interessieren und vor allem dafür, wie, wann und warum sich diese positiv auf die Lernleistung auswirken können.“ So steht es gleich am Anfang der Broschüre. Damit ist die Richtung vorgegeben. Inhaltlich ist nicht viel Neues zu erfahren. So es ist hinlänglich bekannt, dass es z.B. vorteilhaft ist, wenn die Schülerinnen und Schüler nicht allein vor ihrem Bildschirm sitzen, sondern miteinander über das zu Lernende reden. Bekannt ist auch, dass es hilfreich sein kann, wenn nicht nur Texte durchzuarbeiten sind, sondern ein Medienmix aus Text mit Video oder Animation ein Thema veranschaulicht, eingebunden in ein gut vorbereitetes Unterrichtskonzept,. Einseitig wird es, wenn bei der Befragung zur Studie nur Lehrkräfte aus Gymnasien, Real- und Mittelschulen ausgewählt werden, „die durch langjährige Erfahrung als Experten im Bereich des digitalen Lehrens und Lernens angesehen werden können.“ Wer sich mit digitalaffinen und -erfahrenen Lehrkräften unterhält, weiß, dass dabei positive Antworten zu erwarten ist. Es scheint, als sollten mit der Broschüre vorab Pflöcke eingeschlagen werden.

Medien und Schule im Diskurs

Dass digitale Medien an weiterführenden Schule eine immer deutlichere Rolle spielen werden, steht außer Frage. Ab welchem Alter und wofür sie idealerweise eingesetzt werden, ist weiterhin umstritten. Hierzu gibt die von der KMK beauftragte Meta-Studie kaum weiterführende Hinweise. Immerhin macht diese Untersuchung einmal mehr deutlich, wie zentral die Lehrkräfte für einen gelingenden Unterricht sind.

Zu diesem Ergebnis kommt, auf deutlich breiterer empirischer Basis, bereits John Hattie mit seiner Studie „Visible Learning“ (2009), die als Referenzstudie dafür gelten darf, welche Methoden, Medien und Rahmenbedingungen für Unterricht von Bedeutung sind. Dafür hatte Hattie zunächst über 800 Meta-Analysen nach 150 Faktoren ausgewertet. In der zweiten Auflage von 2012 waren es bereits über 900 Meta-Analysen und 150 Faktoren, basierend auf über 70 000 Einzelstudien. Das wichtigste Ergebnis: Über Gelingen und Qualität von Unterricht und Lernprozessen entscheidet an erster Stelle die Lehrpersönlichkeit. Daneben stehen Faktoren wie die Unterrichtsstruktur, die Persönlichkeit der Lernenden und ihre Biografie, das Elternhaus, die Lehrinhalte und nicht zuletzt die Schule selbst als sozialer Raum. Die Effekte der Medien(-technik) ist nachgeordnet. An die Hatte-Studie muss an dieser Stelle erinnert werden, weil bei den aktuellen Diskussionen über die Digitalisierungsstrategien von Bildungseinrichtungen vor allem auf Technik fokussiert wird statt Lernprozess von und mit Menschen zu thematisieren. Medien- bzw. Digitaltechnik ist aber weder bei Hattie noch bei der PISA- oder anderen Studie ein entscheidendes Kriterium für gelingenden Unterricht.

Ist Digitaltechnik an Schulen vielleicht nur ein weiteres, zeitgemäßes Medium, mit dem sich der Unterricht vielfältiger gestalten ließe als bisher? Das verkennt den entscheidenden Unterschied. Anders als alle andern Medien verfügen ins Internet eingebundene Digitalgeräte über einen permanent aktiven Rückkanal. Daten werden nicht nur empfangen, sondern auch gesendet. Daraus werden – von der Bildungs-, IT- und TK-Industrie gewünscht – ständig aktualisierte Lernprofile der Schülerinnen und Schüler erstellt. Interessant wäre zu erfahren, welche Folgen das für die Entwicklung der jungen Menschen haben kann. Das in einer Studie zu ermitteln, wäre ein notwendiges Zukunftsprojekt. Insbesondere dann, wenn die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen digitalen Geräte für den Unterricht nutzen sollen. Die darauf installierten Apps und Internetdienste liefern schon heute differenzierte, sehr private Datenprofile der Nutzer. Wie viel umfassender werden die, wenn noch die in den Schulen generierten Lernprofile den Datenschatz komplettieren?

Besinnung auf den Kulturauftrag der KMK

„Nächste Ausfahrt Zukunft“ hieß der Vortrag, den Ranga Yogeshwar vor der Leibniz-Gesellschaft in Berlin hielt (FAZ vom 12.1.2018, S. 12.). Eine intransparente digitale Infrastruktur versorgt uns mit bequemen Diensten, die schon Kinder nutzen können – und macht uns dabei zu Abhängigen. „Wir werden Zeugen eines Konditionierungseffektes, der in vielen Bereichen unseres Lebens Wissen und Verständnis durch ein blindes Vertrauen in die Maschine oder den Algorithmus ersetzt.“

Wir sollten uns gegen diese schleichende Entmündigung durch fürsorgliche Bevormundung (Nudging) wehren. Digitaltechnik aus dem Valley, das sollte sich jeder klar machen, der diese so nützlichen wie datensammelnden Geräten nutzt, ist Technik der Gegenaufklärung. Menschen werden (zunächst) spielerisch daran gewöhnt zu tun, was eine Maschine ihnen sagt. Ob aus Angeboten Anweisungen werden, entscheidet nicht der Nutzer.

Erstaunlich daran ist nicht, dass Digitalmonopole ihre Geschäftsmodelle auf Kinder und Jugendliche ausweiten. Das sind die Konsumenten der Zukunft. Erstaunlich ist, dass es die KMK als ihre Aufgabe anzusehen scheint, diesen Infantilisierungs- und Entmündigungsprozeß mit Studien, Broschüren und eigenen Strategiepapieren zu forcieren und Digitaltechnik in die Schulen zu drücken, als gäbe es weder datenschutzrechliche Bedenken noch ein informationelles Selbstbestimmungsrecht. Für Tablets z.B. gibt es nur zwei Betriebssysteme: Android von Google oder Apples Mac OS. In einem Fall werden Schülerdaten in Mountain View ausgewertet, im andere Fall in Cupertino.

In Amerika gilt mit COPPA (Childrens Online Privacy Protection Act) seit 1998 ein Gesetz, dass das Sammeln und Auswerten von Daten der unter 13-Jährigen an und zwischen Schulen untersagt. Wo sind vergleichbare Initiativen in Deutschland oder Europa, wenn Schüler über Schulen ins Netz gehen?

Schulen sind aber vor allem der Ort, in dem das kritische und reflektierte Denken und der offene Diskurs ebenso eingeübt werden muss wie Toleranz und respektvolles Verhalten gegenüber anderen. Während das Netz sozial isoliert und die negative Emotionalität durch fehlende Sozialkontrolle verstärkt, sind Schulen (wie auch Vereine und Gemeinden) als reale Sozialräume der analoge Gegenpart, um das reale Miteinander zu üben.

Die KMK hat mit Helmut Holter (Thüringen) nun für ein Jahr einen Präsidenten, der seine Amtszeit der Demokratiebildung verschrieben hat. Holter weiß durch die eigene Biographie, dass man weder politische noch allgemeine Bildung durch softwaregesteuertes Tippen und Wischen am Display lernen kann, sondern nur im direkten Diskurs. Daher sei ihm neben einer erfolgreichen Präsidentschaft auch die Rückbesinnung auf die Kernthemen der Kultusministerien zu wünschen, dies sich genau so wenig an Medientechnik knüpfen lassen wie erfolgreicher Unterricht.

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