Im Dezember 2017 schien alles klar zu sein. Die Kultusminister-Konferenz (KMK) publizierte eine Pressemeldung mit dem aufmerksamkeitsheischenden Titel: „Erfolgreicher Unterricht ist digital – aber nicht ausschließlich“. Wer den Stand der Forschung kennt, wunderte sich. Als Kriterien für gelingenden Unterricht gelten bislang Qualifikation und Persönlichkeit der Lehrkräfte, gut strukturierter Unterricht und ein positives, d.h. lernförderliches Klima an den Schulen. Nicht relevant: die Anzahl von Computern oder Tablets. Das bestätigte zuletzt die OECD-Studie zu Bildungsgerechtigkeit.
Diese Kriterien gelten auch für die der KMK-Meldung zugrunde liegenden Studie. Bereits der Titel relativiert: „Digitale Medien im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe.“ Dass sich mathematisch-technische Fächer eher für den Einsatz von Rechenmaschinen eignen, weiß man seit Abakus und Taschenrechner. In der kurzen Broschüre (die Studie selbst ist noch nicht publiziert) werden weitere Voraussetzung genannt. Es sind nicht digitale Medien an sich, die sich positiv auf Lernleistung und Motivation auswirken, sondern deren ergänzende Integration in den Präsenzunterricht. Die Lehrkräfte müssen zuvor im Einsatz digitaler Medien geschult sein, und sie müssen die Schülerinnen und Schüler bei der Arbeit an den Geräten unterstützen. Auch sollte in Gruppen gearbeitet werden, nicht isoliert an Einzelarbeitsplätzen. Die Essenz: Technische Medien können gut strukturierten Präsenzunterricht in der Sekundarstufe in bestimmten Fächern sinnvoll ergänzen.
Das ist etwas anderes als die Pressemeldung suggeriert und bedeutet: Die Bildungspolitik muss sich von ihrer Fixierung auf den Fetisch Digitaltechnik lösen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. In der Lehrerausbildung muss der Einsatz aller, sowohl analoger wie digitaler, Medien thematisiert und trainiert werden. Ob und wann welche Medien dann im Unterricht eingesetzt werden, entscheidet die einzelne Lehrkraft anhand der Entwicklungsstufe der Kinder bzw. Jugendlichen, der spezifischen Lehrinhalte – und als Lehrpersönlichkeit. Denn auch darüber besteht Konsens unter Pädagogen: Medien im Unterricht müssen zum Unterrichtsstil der Lehrenden passen. So entsteht zugleich mehr Vielfalt an Unterrichtsmethoden und Stilen als bei einer einseitigen Präferenz oder sogar verpflichtenden Vorgabe von digitalen Medien in Schulen.
Das Grundprinzip der sogenannten „individualisierten“ (wahlweise: personalisierten) Angebote im Netz beruht auf dem Auswerten von Nutzerdaten. Das ist möglich durch den permanenten Rückkanal. Wer im Netz aktiv ist, produziert unentwegt selbst Daten, aus denen mit Hilfe von Big Data und Mustererkennung Persönlichkeits- und Verhaltensprofile generiert werden. Personenbezogene Daten sind die Basis der Daten-Ökonomie. Deren Geschäftsmodell gerät unter Druck, denn seit dem 25. Mai 2018 gilt die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Alle Nutzer müssen vor dem Speichern und Verwerten ihrer Daten ihre Einwilligung geben. Daten von Nutzern unter 16 Jahren dürfen nur nach Zustimmung der Eltern verwertet werden. Da weder Eltern noch Lehrkräfte oder Schulleitungen wissen (können), was Anbieter von Software und Apps mit Nutzerdaten machen, ist diese „Zustimmung“ zumindest fragwürdig. Für Schulen gilt daher: Weder Tablets noch Smartphones dürfen nach der DSGVO eingesetzt werden, weil diese Geräte permanent und intransparent Daten an die Hersteller (überwiegend in den USA) senden.
Statt über technische Details und mögliche Unterschiede zwischen einzelnen Datensammlern zu diskutieren, sollte man angesichts weltweiter Vernetzung und alltäglicher Berichte über den Missbrauch von Daten Grundsatzfragen stellen: Was sollen Schülerinnen und Schüler denn genau am Rechner lernen? Tippen, Wischen und YouTube-Videos schauen können sie ohne Anleitung, am Computer spielen auch. Dazu genügt einfache Medienbedienkompetenz.
Ist das Ziel hingegen das Vermitteln von informationstechnischem Wissen und echtem Können, sind „Geräte der Unterhaltungselektronik für Erwachsene“, wie der verstorbene Apple-Chef Steve Jobs die von seinem Unternehmen entwickelten Gadgets Smartphone und Tablet nannte, eher ungeeignet.
Wer Digitaltechnik als Werkzeug und den professionellen Umgang damit vermitteln will, setzt besser „echte“ Rechner (Desktop und Laptop) ein. Sie funktionieren lokal ohne Internetanschluss, womit der DSGVO entsprochen wird. Es ist zugleich pädagogisch wie psychologisch sinnvoll, zwischen Arbeits- und Konsumgeräten zu unterscheiden. PCs kann man selbst konfigurieren und defekte Teile tauschen. Die Geräte werden so entzaubert. So ein Umgang mit (Digital)Technik ist umweltfreundlich, nachhaltig und intelligenter, als alle zwei Jahre komplette Tablets oder Smartphones als Elektronikschrott zu entsorgen.
Ein weiterer Grund, der gegen Tablets und Smartphones spricht, ist, dass die darauf installierte Software i.d.R. nicht gekauft, sondern als Online-Dienst abgerufen wird. Wer solche Applikationen nutzen will, muss sich in der Cloud anmelden und arbeitet mit seinen Daten in dieser „Wolke“ (= Serverfarmen im Netz). Das liefert den Cloudbetreibern und App-Entwicklern wertvolle Daten, ohne dass Nutzer das verhindern könnten. Um den nicht kontrollierbaren Datentransfer in solche Online-Datenspeicher zu unterbinden, empfiehlt sich für Schulen der Umstieg auf lokal geschlossene Installationen als Intranet.
Der Begriff dafür ist Edge Computing (statt Cloud) und wurde auf der Hannover Messe Industrie 2018 als Konzept für die produzierende Industrie vorgestellt. Das Prinzip: Sensible Daten werden nur lokal und offline generiert und direkt vor Ort verarbeitet. So werden Betriebsgeheimnisse bewahrt, das Unternehmen ist gegen Wirtschaftsspionage aus dem Netz geschützt.
Dieses Grundprinzip der nur lokalen Datenverarbeitung sollte Vorbild für sensible Schülerdaten sein. Mit Linux als Betriebssystem und Open Source-Software kann man im Intranet und offline alles lernen – vom Programmieren über Anwendungen wie Textverarbeitung oder Filmschnitt bis zu Webpublishing – ohne Schülerdaten ins Netz zu verlieren. Für Recherchen im Netz stehen zusätzlich wenige Onlinerechner bereit. Sie sind so konfiguriert, dass sich über sogenannte „White Lists“ nur vorab geprüfte und für schulische Zwecke freigegebene Netzadressen (URLs) aufrufen lassen. Nur so kann die Schulleitung Netzrecherchen zulassen, denn sie ist nach der neuen Datenschutzverordnung für alle auf Schulrechnern erzeugte Daten verantwortlich.
Auch Lehrkräfte müssen während des Unterrichts nicht ins Netz, wenn Sie ihre Stunden vorbereiten und benötigte Medien vorab aus dem Netz laden. Hier sind Kultusministerien und IT-Anbieter gefragt. Denn was fehlt, sind Bildungsserver mit geprüften und für den Unterricht freigegebenem Material, dass über verschlüsselte Verbindung auf die Schulserver bzw. Dienst-Laptops (!) der Lehrkräfte geladen werden kann – ohne Rückkanal und Kontrolle.
Dieses Konzept entspricht sowohl den Forderungen des „Vaters des Web“, Tim Berners-Lee nach einem nichtkommerziellen Web wie der DSGVO. Dazu zählen: Transparenz der Daten und Algorithmen, generelle Datensparsamkeit, Dezentralisierung und Datenhoheit bei den Nutzern.
Die Gretchenfrage der Bildungspolitik lautet ja: Wer bestimmt über Technik an Schulen? Sind es IT-Wirtschaft und Bildungsbürokratie mit Fünfjahresplänen (Digitalpakt#D) und zentralistischen Strukturen (Bundes-Schulcloud)? Das bedient die Märkte der Daten-Ökonomie, aber das Ziel, Lernprozesse zu quantifizieren und algorithmisch zu steuern, steht in keinem Bildungsplan.
Oder hört man auf Pädagogen, (Lern)Psychologen und Erziehungswissenschaftler, die die Jugend auf eine stark digitalisierte und technisch determinierte Welt vorbereiten, indem sie sie lehren, Systeme zu verstehen und selbstbestimmt zu nutzen statt nur als Teil solcher Systeme zu funktionieren?