“Es ist wirklich ein Graus mit den Kunden. Statt dass sie jedes Jahr den Etat um das gebotene Maß erhöhen, wollen sie diskutieren, verlangen nach Begründungen und Erklärungen. Anstatt sich für die tolle neue Kampagne zu begeistern, fragen sie nach dem Nutzen. Wie soll man da kreativ sein?”
Die Werbung ist in der Krise. Heißt es. Mal wieder. Etats werden gekürzt oder umgeschichtet. Nicht “die Werbung” steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Kommunikation mit Kunden, mit der Zielgruppe. Während Werbemaßnahmen entfallen, steigen die Investitionen in Kommunikationskonzepte, -strategien und -maßnahmen. Während Kampagnen zurückgezogen oder verschoben werden, wird die – mediengestützte – Kommunikation mit Kunden technisch und organisatorisch in die Tagesabläufe implementiert und intensiviert. Während die Werbebranche von einer Depression zur nächsten taumelt, entwickeln sich neue Techniken und Möglichkeit für den mediengestützten Austausch von Informationen, Angeboten und direkten Kontakten. Der Kommunikationsmarkt entwickelt sich. Oder propagiert irgendjemand, die Kommunikation mit Kunden sei rückläufig und nicht mehr von Interesse? Gibt es irgendwo Tendenzen, weniger zu kommunizieren? Behauptet irgendjemand die Mediennutzung stagniere oder sei rückläufig? Im Gegenteil: Der Medienkonsum steigt. Die mediengestützte Kommunikation ebenso. Die Statistiken sprechen eine eindeutige Sprache, wenngleich es Verschiebungen in der Mediennutzung gibt.
De facto ist “die Depression” der “Werbung” – beides in Anführungszeichen, weil weder die Werbung depressiv ist noch der Begriff “Werbung” hier auch nur annähernd spezifiziert werden kann – kein Phänomen der Werbung, sondern allenfalls einiger “Werber”. Möglicherweise ist der Begriff der “Depression” auch weniger eine Zustandsbeschreibung des Webemarktes als vielmehr ein Imageproblem: der Werber, die sich nicht darein finden mögen, dass Werbemaßnahmen lediglich ein(!) Teil der internen und externen Kommunikation sind. Und die sich nicht darein finden mögen, lediglich Teil einer Wertschöpfungskette zu sein. Werbung aber macht nur Sinn innerhalb eines Kommunikationskonzeptes, wobei “Werbung” vor allem eines ist: Überzeugungsarbeit. Überzeugungsarbeit für ein Produkt, für dessen Qualität, für die eigene Kompetenz oder dafür, der richtigen Partner für bestimmte Aufgaben zu sein. Und die Frage sei erlaubt, ob “Werber” die richtigen Ansprechpartner für eben diese Kommunikationskonzepte sind.
Hat die Depression einiger Werber ihre Ursache tatsächlich in den Verschiebungen und Kürzungen der Werbeetats oder vielleicht in den überzogenen oder gar falschen Erwartungen an die Kommunikationspartner (Auftraggeber und Endkunden)? Für wen konzipieren “die Werber” ihre Kampagnen? Wer entscheidet über die Bildsprachen, Slogans, über Layout und Gestaltung? Und warum entscheidet er sich dafür? Möglicherweise stimmen die eigenen Prämissen nicht. Ist es Aufgabe von Artdirektoren, Kampagnen und Entwürfe zu kreieren, die bei anderen Art- oder Kreativdirektoren Anerkennung finden? Ist es Aufgabe der Auftraggeber, die künstlerischen Ambitionen des Artdirektors zu finanzieren? Haben sich da – möglicherweise – die Gewichtungen in eine Richtung verschoben, die der Kommunikation mit Auftraggebern und (End-)Kunden im Wege stehen?
Die Kommunikation zwischen Auftraggeber und Werber ist Voraussetzung für eine sinnvolle, vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit. Die Kommunikation der Werber bzw. deren Auftraggeber mit den Endkunden über die Werbung entscheidet über den Erfolg einer Werbemaßnahme. Da sollte man schon mal hinterfragen, ob diese Kommunikation funktioniert? Zweifel scheinen angebracht.
Wie ist es zum Beispiel zu bewerten, wenn eine leicht bekleidete, vollbusige Blondine für ein Handy, den Call-by-Call-Service oder eine Zigarettenmarke wirbt?. Ganz nach dem altbekannten Motto “Sex sells”. Im Klartext kann das nur heißen: Frauen interessieren uns nicht als Zielkunden. Deshalb sprechen wir sie erst gar nicht an oder verärgern sie gleich. Oder warum fallen Anzeigenmotive (gleichgültig wie aufwändig gestaltet) bei der anvisierten Zielgruppe mit Bausch und Bogen durch bzw. gar nicht erst auf. Da scheint irgendwer nicht verstanden zu haben, wer angesprochen werden soll und wie diese Zielgruppe angesprochen werden will.
Die “Depression der Werbung” ist vor allem ein Missverständnis, hervorgerufen durch die schon bekannte Selbstbezüglichkeit einiger (nicht gerade weniger) Werber. Wer sich vor allem selbst inszeniert (dress code, Sprache, Auftreten) statt zuzuhören, muss sich nicht wundern, wenn die Kommunikation nicht funktioniert. Wer für sich und seinesgleichen gestaltet, sollte nicht irritiert sein, wenn die Resonanz von anderen eher zurückhaltend bis ablehnend ausfällt. Wer sich selbst für den “Nabel der Welt” hält, muss damit rechnen, dass er als Kommunikationspartner bestenfalls anstrengend, eher aber ungeeignet ist. Werbung wird es immer geben. Etats schrumpfen und wachsen wieder, werden aber in Zukunft anders verteilt. Wer sich an diesen Töpfen laben will, muss zukünftig mehr und anderes leisten: durch kompetente Beratung über und Konzeption der Kommunikation. Er muss Teil der Wertschöpfungskette von Unternehmen werden, bei der “Werbung” nicht “klassische Werbemittel”, sondern primär Vertrauensbildung und Kommunikationssteuerung heißt.
Letztlich ist die regelmäßige “Depression der Werbung” ein regelmäßiger Säuberungsprozess des Werbemarktes. Als Nachwehen des Internethype mögen die Schwankungen größer ausgefallen sein als sonst üblich. Aber wieder einmal werden am Ende die Agenturen, Grafiker, Kontakter und PR-ler “überleben”, deren eigene (Kommunikations-)Strategie und Zusammenarbeit mit den Kunden stimmt und die auch ihre Eigenwerbung als das begreifen, was gefordert wird: Vertrauensbildung als erstes, zuhören und qualifiziert beraten als zweites und Kundenorientierung anstatt Selbstinszenierung als drittes. Und die letztendlich auch den Endverbraucher nicht als “Konsumäffchen (Kroeber-Riel) diffamieren, sondern als Kommunikationspartner begreifen. Um mit das Ganze mit zwei Slogans zu beschließen:Sind Sie „on“? „Ich bin doch nicht blöd!“
Download als PDF: Heul_doch. Eim Frühlingspamphlet (2003)