Erinnern Sie sich an die „heldenhaften Tat“ des russischen Regierungschefs Putin im August 2008? Bei der Beobachtung von Tigern in einem Nationalpark wurde die Gruppe aus Wissenschaftlern und Kameraleuten (angeblich) angegriffen. Putin reagierte (angeblich) sofort und traf den Tiger mit einem Betäubungsgewehr. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.
„Die Sache war natürlich noch am selben Abend der Aufmacher in den russischen Fernsehnachrichten, und wenn nicht alles täuscht, wird der Blattschuss des tapferen Wladimir mindestens zum Schulstoff im Fach Staatsbürgerkunde der russischen Untersekunda werden – obwohl das Video der Heldentat, das die Nachrichtenagentur Reuters bald darauf verbreitete, ein bisschen gestellt und nachgedreht wirkt und insofern verteufelt an die gerade erst ein Jahr zurückliegende PR-Pleite mit den russischen U-Boot-Aufnahmen vom Meeresgrund am Nordpol erinnert, die mit Bildern aus James Camerons Kassenbrüller „Titanic“ aufgemotzt worden waren. Aber was kümmert es den Anführer einer gewesenen Supermacht, woher die Tiger kommen, die ihm vor die Flinte laufen! Der eine kommt vielleicht vom Amur, der andere aus den digitalen Zauberkäfigen von Hollywood, aber der patriotische Knall ist doch in jedem Fall derselbe. Ein Schelm, wer dabei an den Bären denkt, den man ihm aufbinden will.“ (FAZ vom 2.9.08, S. 33)
Sie wundern sich vielleicht, warum ich mit einer derart offensichtlichen Inszenierung beginne. Die Antwort ist einfach: wegen der offensichtlichen Inszenierung, die als Inszenierung ihre mediale Wirkung nur entfaltet, wenn Medienvertreter als Multiplikatoren funktionieren. Dieses „Ereignis“ war so offensichtlich gestellt und für die einbestellten Fotografen und Kameramänner in Szene gesetzt, dass kaum jemand auf den Gedanken käme, dieser Inszenierung einen „Wahrheitsgehalt“ zuzusprechen. Aber wir kennen nur diese inszenierten Bilder. Es ist das gleiche Vorgehen wie im US-Wahlkampf, in dem ein Treffen der Bewerberin um die Vizepräsidentschaft Sarah Palin mit Henry Kissinger arrangiert wurde, nur um das „Ereignis“ medial aufzubereiten:
„Die Begegnung sollte Bilder produzieren und – per abendlichem TV-Clip oder als Foto in der Morgenzeitung – suggerieren, was republikanische PR-Berater gegenüber Journalisten gleich nach dem Termin ihrer Chefin attestierten“: „Sie ist längst vollkommen bereit, Vize-Präsidentin zu werden.““ (SZ, 25.9.08, S. 8)
Zwei Beispiele von vielen … Mediale Berichterstattung wird (immer) für eigene Zwecke und Aufgaben instrumentalisiert. In Frage steht, mit welcher Absicht und für welche Zielgruppe(n) solche Bilder inszeniert werden – und warum alle Medien (Print, TV. Online)diese Inszenierungen so willig aufnehmen. Bei jedem Umgang mit und der Nutzung von Medien muss man sich daher vergegenwärtigen:
1. Nur das medial Vermittelt wird öffentlich und bewusst. „Medien“ bestimmen durch ihre Berichterstattung unsere Wahrnehmung von „sogenannter“ Wirklichkeit. Nicht nur für Mediengesellschaften gilt: Nur was in „den Medien“ ist, ist „real“, was zugleich bedeutet: für ein Publikum aufbereitet.
2. Alles, was an sogenannten Informationen und Nachrichten über Ereignisse, Personen und Entwicklung Eingang in die „mediale Realität“ erlangt, ist immer eine gezielte Auswahl (Selektion) und intentional, also zielgerichtet und interessegeleitet.
Inszenierung und Instrumentalisierung der „Presse“ sind ein Aspekt. Ein weiterer ist die „Medienmeute“, die diesem Wechselspiel von Inszenierung und Instrumentalisierung durch willige Berichterstattung erst ermöglicht. Zwar lassen sich Medienvertreter in demokratischen Gesellschaften nicht (ganz) so leicht steuern wie im postkommunistischen Russland. Aber auch die westlichen Demokratien müssen sich mit einer sich ändernden Medienlandschaft und einer neuen Rolle der Medien auseinandersetzen. Um die Rahmenbedingungen und Funktionsweise von Medien systematisch zu hinterfragen, kann man die Lasswellformel von 1949 heranziehen. Das Original lautet (5W):
Wer – sagt was – zu wem – in welchem Kanal – mit welcher Wirkung?
Die notwendige Ergänzung lautet (8W +Negation):
Wer – sagt was (+ was nicht) – warum (Ziel, Intention) – wie (Form, Gestalt) – zu wem – wann/ wo (Ort, Zeitpunkt)- in welchem Kanal – mit welcher Wirkung?
Der ganze Beitrag als PDF: Lankau: Der “Deal mit der Realität (Buckow 12)
Quelle:Felsmann, Klaus-Dieter (Hrsg.) [Tabubrüche, 2009]: Mediale Tabubrüche vs. Political correctness, Buckower Mediengespräche 12, München: kopaed, 2009