Die Kunst geht zum Brot, die Wissenschaft …

Google kauft die Humboldt-Universität (HU), die Universität der Künste Berlin (UdK), das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und das Hans-Bredow-Institut Hamburg… Das stimmt so selbstverständlich nicht. Google gründet stattdessen ein An-Institut, das „Institut für Internet und Gesellschaft“ und finanziert es, gestreckt über drei Jahre, mit 4,5 Mio. Euro – einem Betrag, den Google in sechs Stunden erwirtschaftet. Man kennt die Unterfinanzierung deutscher Universitäten.

Wie die Kunst geht auch die Wissenschaft nach Brot, könnte WZB-Präsidentin Jutta Almendinger, in Anlehnung an den Maler in Lessings „Emilia Galotti“ um Verständnis werbend, formulieren. Sie beschwört stattdessen, wie die anderen Präsidenten der beteiligten Einrichtungen und Eric Schmidt (Google), die vollständige Unabhängigkeit des zukünftigen Instituts (Eröffnung im Oktober 2011), die freie Wahl der zu untersuchenden Themen und die völlige Freiheit bei der Publikation der Ergebnisse. Warum auch nicht. Das bekannte Defizit der Technikfolgenforschung in Deutschland nutzt Google zur Imagebildung. Gesponsert werden – ohne Einflussnahme – Projekte wie:

  • die Verhinderung des „digital divide“, die Frage, wie man die noch nicht netzaffinen Bevölkerungsteile ins Netz bringt;
  • Selbstbestimmung und „cloud computing“, die Frage, wie man das wiederbelebte Konzept der Zentralrechner (Mainframe) als „Freiheit“ verkauft, wobei diese Netz-Rechner nicht mehr lokal vor Ort stehen, sondern dezentral beim Provider irgendwo in einem Serverpark;
  • die Frage nach „Zwischenstufen“ zwischen Privat und Öffentlich, also nach Konzepten, mit denen man Skeptikern das Ende jeglicher Privatsphäre und die digitale Prostitution im Netz schmackhaft und als Selbstverständlichkeit verkaufen kann.

Die Ergebnisse kommen ohne Zugriff auf interne Datenbestände von Google zustande. So weit geht die „Ehrfurcht“ (Schmidt) vor der Wissenschaft dann doch nicht. Google sponsert schlicht extern, was sonst intern erforscht werden müsste, um weiter auf dem europäischen Markt expandieren zu können. Denn die amerikanischen und europäischen Vorstellungen vom Umgang mit personenbezogenen Daten, Urheberrecht oder z.B. Datensicherheit sind offensichtlich nicht kongruent. Sponsoring öffnet Türen von Verbänden und Universitäten, öffnet die Ohren der Mandatsträger und Imagewerbung lässt sich damit auch noch machen. So funktioniert Lobbyarbeit.

Vorgemacht: Die Deutsche Bank

Die Deutsche Bank hat es mit der Technischen und der Humboldt Universität vorgemacht. Zwei Stiftungsprofessuren, ein Institut (Quantitative Products Laboratory), drei Mio. Euro jährlich: Dafür wird die inhaltliche Arbeit des Instituts von der Deutschen Bank bestimmt, dafür gibt es Lehraufträge mit Prüfungsberechtigung für Deutsche Bank-Mitarbeiter und der Geldgeber entscheidet, welche Forschungsergebnisse publiziert werden dürfen. Man kennt das aus der Pharma-Industrie. Wer zahlt, bestimmt das Thema, die Fragestellung und das Design der Studien und entscheidet, welche Ergebnisse publiziert werden dürfen. So verkaufen sich Wissenschaftseinrichtungen.

Creepy Line

Zwar geht Google mit seiner Institutsgründung nicht so weit. Es ist aber ein „glücklicher Zufall“, dass das neue Institut genau die Themen bearbeitet, die für die weitere Expansion von Google in Europa zu klären sind. Dass Google dabei immer mehr Daten zusammenträgt und unabhängig von Urheber- oder Lizenzrechten alles digitalisiert – Bücher bei Google Books, Aufnahmen von Straßenzügen ganzer Städte (Google Streetview) u.v.m. – ist halt die digitale Welt. Dass Google daraus immer neue „Dienste“ entwickelt und kostenlos anbietet, erfreut die Benutzer Dass dazu personenbezogene Daten gespeichert werden ist notwendig. Je mehr man über den User und seine Wünsche und Vorlieben weiß, desto besser und zielgenau kann man ihn „bedienen und mit dem Richtigen versorgen“. Digitale Bevormundung als Glücksversprechen: Alles, was der User will und braucht, bekommt er bei und durch Google. Dabei jongliert Google immer an der intern „creepy line“ genannten Grenze, an der die (digitale) Bevormundung und Steuerung zur Belästigung wird und sich die Nutzer ab- und womöglich anderen Digitaldienstleistern zuwenden. Um diese Schmerzgrenze bei deutschen oder europäischen Nutzern herauszufinden, ist ein Forschungsinstitut im Zielland in der Tat nützlich.

Ist das alles zu kritische gesehen? Vielleicht. Wer aber den Unterschied zwischen Forschung und Auftragsforschung entweder nicht kennt oder nicht kennen will, wer Drittmittelprojekte zum Maß wissenschaftlicher Reputation macht, wer Institute von Unternehmen sponsern lässt, sollte auch sagen, dass Unternehmen an Wissenschaft nicht als Erkenntnisform interessiert sind, sondern als Mittel zum Zweck für Prozessoptimierung, von Wachstum, Expansion und Effizienzsteigerung. Das ist legitim, aber ein anderes Wissenschaftsverständnis. Man sollte zudem nicht ausblenden, dass hier ein Unternehmen exemplarisch seine Forschungs- und Entwicklungsabteilung auslagert und die Kosten zumindest mittelfristig sozialisiert und sich im notorisch klammen Berlin politischen Einfluss kauft. Man sollte deutlich bekennen, ob man diese Form von „Wissenschaft und Forschung“ anstrebt, die im krassen Widerspruch zumindest des Wissenschaftsverständnisses von Wilhelm von Humboldt ist, dessen Namen hier ungefragt für einen derartigen „deal“ herhalten muss.

Pressemitteilung der Humboldt Universität HU, Berlin:

Rieger, Frank [Blindenhund, 2011]: Ist dieser soziale Blindenhund bissig?   in: FAZ vom 14. Juli 2011, S. 29

Hofmann, Niklas [Humboldt, 2011]: Humboldt im Netz. Wofür bezahlt Google ein Forschungsinstitut in Berlin?, in: SZ vom 12. Juli 2011, S. 11

Schultz, Tanjev [Gängelband, 2011]: Forschung am Gängelband. Deutsche Bank sponsert Universitäten keineswegs selbstlos, in: SZ vom 30. Mai 2011, S. 1