Das Ich ist eine Datenspur. Identität als Realität im digitalen Kokon

cup_platz

14. Buckower Mediengespräche 2010

Robin Sage ist 25 Jahre alt und Absolventin der Elite-Universität MIT (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge). Sie arbeitet als Analystin für Cybersicherheit der US-Marine. Ihre eMail-Adresse weist sie als Mitarbeiterin von Blackwater aus, einer US-Söldnerfirma. So steht es in ihrem Facebook- und Twitter-Profil. Robin Sage kommuniziert mit US-Militärs, Nachrichtendiensten und Sicherheitsunternehmen aus der IT-Branche. Sie hat innerhalb weniger Wochen Kontakt zu über 300 zum Teil hochrangigen Militärs, Geheimdienst-Agenten, Politikern und Mitarbeitern von Rüstungsunternehmen. Man schickt ihr vertrauliche Informationen, auch aus aktuellen Einsätzen. Sie bekommt interne Dokumente zum Gegenlesen. Die Kollegen, mit denen Sie via Facebook und Twitter kommuniziert, sitzen zum Teil im gleichen Gebäude. Sie bekommt Einladungen zu Konferenzen, auch von extern, und Job-Angebote renommierter Rüstungsbetriebe. Um die berufliche Zukunft von Robin Sage muss man sich keine Gedanken machen , wäre da nicht eine Kleinigkeit …*
*Siehe Nachsatz zu Robin Sage am Ende des Dokuments

0    Die Welt ist eine (Matt)Scheibe: Monitor und Display

Was würden Sie normalerweise tun, wenn Sie den Namen Robin Sage hören und wissen wollen, wer das ist? Die meisten Menschen würden „ins Internet“ gehen, über 90 Prozent davon den Namen „googeln“. Das ist mittlerweile so selbstverständlich geworden, dass man leicht vergisst, dass es diese ganzen Techniken erst seit kurzem gibt. Seit gerade Mal 15 Jahren gibt es das World Wide Web (seit 1995). Google selbst wird nach offizieller Zählweise zwölf Jahre alt (als offizieller Geburtstag gilt der 27. September 1998). Das ist nicht gerade alt für ein „unverzichtbares Medium“.
Gleichwohl sind Internet und World Wide Web mittlerweile als Begriffe
ebenso Allgemeingut wie Chatroom, Blog oder Online-Foren. Mobilkommunikation und Web 2.0 („das Mitmach-Web) sind gleichermaßen selbstverständlich geworden wie die euphemistisch „social media“ genannten Plattformen wie Facebook oder StudiVZ. Nicht mehr nur „Nerds“ und „Geeks“1 diskutieren stetig über neue Geräte, Techniken und Dienste (neudeutsch „App“)2. Und das olympische „schneller, höher, weiter“ als Grundprämisse scheint gleichermaßen für die Unterhaltungs- und IT-Industrie bzw. deren Produkte zu gelten. Doch der zur Verstetigung der Umsätze notwendige Update-Zwang für Hard- und Software wird von den Nutzern ja willig akzeptiert. Jeden aktuellen Medienhype toppt allenfalls der nächste, schon angekündigte, noch größere Hype. Wahlweise steht man sich für neue Software oder ein neues Smartphone die ganze Nacht die Beine in den Bauch und ist glücklich, wenn man als eine(r) der ersten das Gerät besitzt und in die Kameras der TV-Stationen halten darf. Neu ist gut, digital ist besser, der Fortschritt stetig. Das ist das Geschäft. „The show must go on.“

1    Digitale Identität: Ariadne-Faden des Web

Niemand macht diese Show aus Altruismus. Der ganze (Marketing-)Zirkus ist Teil des Business. Wie bei jeder Show und jedem Zirkus zahlt das Publikum. Denn wer glaubt, das sei alles „umsonst“, ist bestenfalls naiv oder beruft sich auf das vermeintliche „Bürgerrecht, überhaupt nichts zu denken“, wie es Max Frisch in seiner Parabel von Biedermann und den Brandstiftern niederschrieb.3 Biedermann reicht den Brandstiftern sogar die Streichhölzer („Wenn die wirklich Brandstifter wären, du meinst, die hätten keine Streichhölzer?“), mit denen Schmitz und Eisenring die Benzinfässer auf dem Dachboden anzünden und die ganze Stadt niederbrennen  – so wie Internet-Nutzer immer mehr Daten über sich und andere ins Netz stellen, unbemerkt als Datenspur oder freiwillig in Web-2.0-Anwendungen und „social media“-Plattformen.

Daten werden zu Identitäten. Nicht immer im Sinne einer personalisierten Identität, immer aber im Sinne der Mustererkennung und Profilierung. Eine Studie des MIT und der Harvard-University belegt, dass sich aus den Verbindungsdaten der Mobiltelephone einer Versuchsgruppe von 94 Probanden deutlich mehr und bessere Rückschlüsse über Freundschaften und Cliquenbildung generieren ließen als über direkte Interviews.

Der ganze Beitrag als PDF: Lankau: Lankau; Das ich ist eine Datenspur  (Buckow 14, 2010)

Quelle: Felsmann, Klaus-Dieter (Hrsg.) [Avatar, 2011]: Mein Avatar und ich. Die Interaktion von Realität und Virtualität in der Mediengesellschaft, Buckower Mediengespräche 14, München: kopaed, 2011