Zwischen OECD-Vorgaben und Akademisierungswahn
Wer ohne Kenntnis historisch gewachsener Bildungstraditionen, wer ohne Rücksicht auf national unterschiedliche Bildungskulturen am Reißbrett und “per ordre di mufti” normative und quantitative “Bildungsziele” formuliert (z.B.: 50% eines Jahrgangs sollen studieren), bringt funktionierende Strukturen zumindest aus dem Gleichgewicht. Dieses “Verdienst” kann sich die OECD zuschreiben, die die europäische Hochschullandschaft zu standardisieren sucht und dabei nicht auf Widerstand, sondern Willfährigkeit in der Administration der Bildungs- wie Kultusministerien stieß und stößt.
Aus der Viefalt europäischer Bildungslandschaften werden formal normierte Monokulturen unter ökonomistischer Kuratel. Die durch die Kompetenzorientierung “erreichte” inhaltliche Entleerung der Studiengänge und der daraus resultierenden Beliebigkeit curricularer Inhalte vereinfacht die Einführung externer Steuerungsmechanismen des Qualitätsmanagements. Kennzahlen der produzierenden Industrie werden zum Maß selbst “akademischer Bildung”, was notwendig zu einer Selbstauflösung sowohl des Akademischen wie des Bildungsbegriffs führt. Zwar gelten deutsche (Hoch)Schulen weltweit noch als Vorbild und das duale Ausbildungssystem wird zum Exportschlager gerade in die Länder, die neben einer hohen Jugendarbeitslosigkeit auch eine hohe Arbeitslosenquote von Akademikern zu beklagen haben (Spanien, Italien). Doch der “Akademisierungswahn” in Deutschland bleibt davon unberührt und führt mittlerweile auch hier zu Verwerfungen im Bildungsgefüge.
Was das konkret bedeutet, kann man im Beitrag von Rudolf Maresch nachlesen: längere Studienzeiten, höhere Abbrecherquoten, überforderte Studierende trotz Absenkung des Niveaus, sinnfreie “Akademisierung” beruflicher Bildung, gleichzeitig fehlende Auszubildende in Handwerk und Industrie etc.pp. Wer sich angesichts der aktuellen “Bildungsoffensive” (ein latent militärischer Begriff) an Sputnikschock (1957) oder Pichts “Bildungskathastrophe” (1964) erinnert fühlt und hofft, das zumindest die bekannten Fehler nicht widerholt würden …
Rudolf Maresch: Warum alle studieren sollen (Telepolis/Heise, 01.11.2013)
Siehe auch:
FAS: Im Gespräch: Julian Nida-Rümelin „Wir sollten den Akademisierungswahn stoppen“ (1.9.2013)
Jürgen Kaube: Im Bildungsrausch. Ist akademisch auch hochwertig? (6.9.2013)