Die Abbruchquote von Studierenden von etwa 30 Prozent war einer der Kritikpunkte am deutschen Hochschulsystem und einer der angegebenen Gründe, den Bolognaprozess zu starten. Diese Abbruchquoten sind auch nach der Umstrukturierung der Studiengänge (Bachelor- und Masterabschlüsse, Modularisierung, ECTS-Punkte u.a..) noch in etwa gleich hoch und liegen im statistischen Mittel weiterhin bei etwa 30 Prozent (bis zu 50 Prozent bei Natur- und Ingenieurswissenschaften). Es besteht unbestritten weiterhin Handlungsbedarf. Ob allerdings „digitale Bildungsangebote“ den Weg weisen, wie es das CHE in seinem Arbeitspapier propagiert, darf bezweifelt werden. Denn die Abbruchquoten bei MOOC (Massive Open Online Courses) sind um ein vielfaches höher. Das stellen die Autoren im Kapitel „Hohe Abbruchquoten Bei MOOCs“ (S. 48) des Arbeitspapieres auch korrekt dar.
„Nur ein kleiner Teil der Teilnehmer(innen) in MOOCs absolvieren den Kurs mit dem Bestehen aller gestellten Aufgaben. So schließen in einem typischen Kurs auf Udacity aus 20.000 Teilnehmer(inne)n ca. 500 bis 1.000 Personen den Kurs ab.“
Das sind, in Prozent umgerechnet, zwischen 2,5 und 5 Prozent Teilnehmer, die einen Kurs abschließen. Im Umkehrschluss beenden zwischen 95 und 97,5% der Teilnehmer(inn)en (TN) den Kurs nicht. Man könnte bei einer derart hohen „drop out-Quote“ das Konzept dieser MOOC in Frage stellen – oder kreativ mit den Zahlen arbeiten, wie es die Autoren demonstrieren. Im ersten Schritt werden vier Gruppen von Studierenden definiert:
“Studierende, die die meisten Aufgaben abschließen, Studierende, die keine Aufgaben absolvieren, aber dem Kurs folgen, Studierende, die früh ausscheiden und Studierende, welche sich nur anmelden, aber nicht teilnehmen.“
Der Trick: Der „Erfolg“ eines Online-Kurses wird nicht mehr an das Ablegen der Abschlussprüfung gekoppelt, sondern an die (mehr oder weniger regelmäßigen) Teilnahme. Daher dürfe die „drop out-Quote“ nicht an der Gesamtzahl der Teilnehmer(inn)en festgemacht werden, sondern an einer Teilmenge.
„Aufgrund der niedrigen Eintrittsschwelle („open“) und der Vielfalt der potenziellen Interessen der Studierenden scheint es im MOOC-Kontext daher nicht sinnvoll, „drop-outs“ basierend auf der Gesamtheit aller angemeldeten Studierenden zu berechnen. Vielmehr könnten Teilnehmer(innen), welche einem Großteil des Kurses beiwohnen, als „Erfolg“ gezählt werden. Schließt man nun die 75-80 Prozent der Teilnehmer(innen) aus, welche sich anmelden, aber nicht teilnehmen, so ergibt sich ein deutlich besseres Bild der Erfolgsrate.”
Schließt man 75-80 Prozent der Teilnehmerinnen (TN) aus und berechnet die Erfolgsquote anhand der noch verbleibenden 20-25 Prozent ergibt sich ein deutlich besseres Bild …
25% von 20.000 TN sind 5000 TN. Wenn davon die eingangs erwähnten 500-1000 TN einen Abschluss machen, sind das bereits zwischen 10% (500) oder sogar 20% (1000 von 5000). Rechnet man das Ganze noch mit 20% von 20.000 TN gesamt, bleiben 4000 TN übrig. 500 oder 1000 von 4000 sind sogar 12,5 bzw. 25% Absolventen. Damit liegt zwar die „Erfolgsquote“ (gemessen an denjenigen, die den Kurs abschließen) selbst nach dieser statistischen „Korrektur“ (durch das Herausrechnen von bis zu 80% der TN) niedriger als die Abbruchquote (!) bei Studiengängen in der Präsenzlehre (70% Absolventen, 30% Abbruchquote). Anstatt sich aber über die geringe Erfolgsquote der MOOC zu grämen (real zwischen 2,5-5%), behauptet man einfach, dass der Abschluss eines Kurses gar kein sinnvolles Kriterium sei:
“So zeigen Statistiken zu Vorkenntnis der MOOC-Teilnehmer(innen), dass ein nicht unwesentlicher Teil bereits graduiert ist. Es ist also davon auszugehen, dass die Anmeldung/Teilnahme einer nicht unwesentlichen Gruppe durch Interesse an bestimmten Inhalten oder dem Format des Kurses motiviert ist und weniger am Erwerb eines Zertifikats.”
So lernt man durch dieses CHE-Papier ganz neu mit Prozenten zu rechnen (wofür der Autor als Begriff „Mathematik aus Gütersloh“ vorschlägt) – und das MOOC ein Addon für Akademiker ist? Wenn es desweiteren, selbst nach Aussage der Autoren, für die Einführung von MOOC und Online-Universitäten in Europa (anders als in den USA mit explodierenden Studiengebühren) weder eine Notwendigkeit noch Handlungsdruck gibt, fragt man zu Recht: Was wird hier vom CHE als „digitale (R)evolution“, was als „digitaler Tsunami“ propagiert, mit welchem Zweck und zu wessen Nutzen?
CHE: Digitalisierung der Hochschullehre: Potenziale noch weitgehend ungenutzt, (Pressemeldung vom 30.10.2013)
CHE Arbeitspapier (Download PDF):
Siehe auch: „Spread the Word – Von der Universität zum Bildungsstream?” (Veranstaltung von DRadio Wissen (Digitaler Salon) und Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, HIIG)