Wer am 2. April 2014 die Tageszeitungen daraufhin durchschaute, welche Aprilscherze am 1. April dieses Jahr veröffentlicht wurden, findet unter anderem eine Pressemeldung der OECD: „PISA – Beim kreativen Problemlösen liegen deutsche Schülerinnen und Schüler im oberen Mittelfeld.“
Wer die Meldung daraufhin aufruft, darf lesen, dass schwächere Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten haben, einen (simulierten) Fahrkartenautomaten zu bedienen (was, je nach Automat und Software, durchaus eine Herausforderung sein kann, hier erschwert durch die Aufgabenformulierung) oder dabei scheitern, die kürzeste Strecke zwischen zwei Stationen auf einer interaktiv anzuklickenden Karte zu ermitteln. Wer diese computer-basierten Aufgaben selbst ausprobieren möchte (siehe: Testfragen) …
Es wird niemanden verwundern, dass diejenigen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Rechnen haben, auch Schwierigkeiten beim Lösen solcher Textaufgaben haben, auch wenn Antworten bzw. Handlungsanweisungen bereits in den (unnötig kompliziert formulierten) Fragestellungen mitgeliefert werden. Es sind aber vor allem gerade keine „kreativen Lösungen“ gefragt, sondern nur bereits vorgegebene Wege nach- oder vorgegebene Lösungen anzuklicken. Das ist systembedingt. Für im Wortsinn „kreative“ (also bislang nicht bekannte oder originelle) Lösungen eignen sich Rechner und per Software automatisiert auswertbare Prüfungsaufgaben schon technisch nicht. Klickbar ist nur, was die Software als Lösungsweg vorgibt. „Kreativ“ ist daher allenfalls, alltägliche Aufgabenstellungen und deren vordefinierte, zum Teil in der Aufgabenstellung bereits formuliert Lösungswege als „kreatives Problemlösen“ zu behaupten.
Der Erkenntniszugewinn dieser „Meldung“ ist negativ. Aber es war wohl mal wieder an der Zeit, Schulen und Lehrende daran zu erinnern, dass OECD, PISA-Konsortium und Testindustrie nicht untätig sind, sondern auch in den Jahren zwischen den alle drei Jahre den Unterricht okkupierenden Schultests – vor jedem PISA-Test wird für den PISA-Test geübt, unabhängig von und auf Kosten der regulären Curricula – weiter mit vorhandenen Datenbeständen jonglieren und daraus „Bedarfs-Statistiken“ generieren können. Jede Pressemeldung ist schließlich besser als keine Pressemeldung, sagt das Marketing. Es bedarf einer Statistik für eine Pressemeldung – und sei es eine mit Banalitäten.
Hilfreich wäre stattdessen eine Moratorium: Setzen wir PISA- und alle anderen Morbus Testeritis-Szenarien für eine Dekade aus und gewähren den Schulen und allen Beteiligten eine Pause von diesem Zähl- und Rankingwahn. Zu tun gibt es genug, das gesparte Geld wäre für Personal an den Schulen deutlich besser investiert als an den mittlerweile ungezählten empirischen Studien über Schule.
Die Testpäpste und ihre Adlaten haben auch so genug Zahlenmaterial, um für die nächsten Jahre sinnfreie Bedarfs-Statistiken zu generieren, um sich ihrer selbst zu vergewissern, auch wenn deren Aussagekraft und Relevanz selbst in angeblich „harten Faktenfächern“ wie Mathematik mehr als fragwürdig sind (siehe die Vortragsreihe: Mathematik in der Schule – Versuch über eine Bildungsmisere), den Beitrag des Kollegen Jahnke: Die Illusion der Statistiker oder oder die Publikationen zu PISA von Wolfram Meyerhöfer, (Univ. Paderborn).
Empiriker und „Bildungs-“Forscher überschätzen die Relevanz des Messbaren im Verhältnis zum Relevanten. Dabei gilt das Einstein-Wort: “Nicht alles, was zählt, ist zählbar, und nicht alles, was zählbar ist, zählt.” Eine Dekade „testfrei“ böte die Gelegenheit, sich auf Wesentliches der Lehre, d.h, die Arbeit mit den Lernenden, zu konzentrieren, denn gerade in Pädagogik und Bildung, sind die wesentlichen Qualitäten weder zähl- noch messbar und ungeeignet für Statistik.
* Ein „Selfie“ ist übrigens ein Foto, das man mit dem Smartphone und ausgestrecktem Arm von sich selbst (gern mit Prominenten) knipst. Ästhetisch und fototechnisch sind „Selfies“ bestenfalls suboptimal und ein typisches Produkt des „me-too-web“. Die Bild-Botschaft soll suggerieren: Ich bin wichtig und stehe im Mittelpunkt. Wer’s glaubt …
1. April 2014: Pisa-Studie Jeder fünfte Schüler ist im Alltag abgehängt (Süddeutsche Zeitung)
Die Veröffentlichung der OECD: PISA 2012 Results: Creative Problem Solving (Band 5)