“In Deutschland dürfen Grundschüler fast überall drei Jahre lang so schreiben, wie sie wollen – und werden nicht korrigiert.” beginnt der Beitrag von Heike Schmoll in der FAZ. Was anfangs vielleicht tolerant oder gar “kindgerecht” klingt, erweist sich als kontraproduktiv. “In nahezu allen Bundesländern wird in den ersten drei Schuljahren weitgehend phonetisch geschrieben; im vierten Schuljahr hagelt es dann plötzlich schlechte Noten im Deutschunterricht, weil nun die korrekte Orthographie zu bewerten ist.”
Schreiben lernen ist sicher nicht einfach. Orthographie und Grammmatik sind notwendig normativ, wenn wir uns mit Hilfe von Schriftsprache verbindlich verständigen wollen. Wie absurd ist es daher, erst falsch schreiben zu lernen und sich dabei verkehrte Wortbilder einzuprägen, um im vierten Schuljahr drastisch für etwas korrigiert zu werden, was bisher erlaubt war? Man kann es nur als unsinnig bezeichnen, die Orthographie am Anfang zu vernachlässigen, um deren Bedeutung anschließend mit demotivierenden Noten zu postulieren.
Käme im Musikunterricht jemand auf die Idee, Kinder erst falsch spielen oder singen zu lassen, um dann im vierten Jahr per Notenskala und normativer Notation das bisherige Spielen und Singen zu entwerten? Käme jemand von Verstand darauf, Kinder drei Jahre munter drauf los rechnen und alle Ergebnisse als “richtig” durchgehen zu lassen, um erst im vierten Schuljahr zu vermitteln, dass es in der Mathematik richtige und falsche Lösungen gibt? Man würde derlei Pädagog(inn)en kaum mit Kindern musizieren respektive rechnen lassen. Aber bei Sprache und Schrift, dem zentralen Medium der Verständigung und einer der wichtigsten Grundlage für schulischen wie beruflichen Erfolg, lässt man die Kinder drei Jahre in die Irre laufen.
Dabei weiß man: Wer die Grundstruktur der eigenen Sprache und Schrift nicht schon früh richtig lernt, wird ein Leben lang benachteiligt sein. Zumal dieses “pädogogische” Konzept des “anything goes” nachweisbar zu einem höheren Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) führt, weil gerade Kinder mit höherem Betreuungsbedarf beim Schreibenlernen beim nachträglichen Einführen orthographischer Regeln zusätzlich verunsichert werden und das Schreiben in Folge meiden. So macht man Kinder zu funktionalen Analphabeten – in der Schule. Es gibt überzeugendere pädagogische Konzepte.
Heike Schmoll: Unsere Kinder verlernen das Schreiben (FAZ, 8.7.2014)