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Erklärung „Trojaner aus Berlin: Der„Digitalpakt#D“ unterzeichnen
Im Oktober 2016 hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka einen Digitalpakt angekündigt. 40.000 Schulen in Deutschland sollen in den nächsten fünf Jahren mit Computern und WLAN ausgestattet werden. Der Bund stelle dafür bis 2021 fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Was positiv klingt – 5 Milliarden Euro für Schulen – erweist sich als trojanisches Pferd. Was statt Investitionen in IT-Infrastruktur und Hardware zu fordern ist:
Zum Mitrechnen: 5 Mrd. Euro geteilt durch 40.000 Schulen, verteilt über 5 Jahre sind ca. 25.000 Euro pro Schule und Jahr. Die tatsächlichen Kosten für benötigte Hardware liegen um ein vielfaches höher. In einer Studie für die Bertelsmann-Stiftung hat Andreas Breiter (Uni Bremen) zwei Szenarien berechnet. Beim ersten Szenario teilen sich fünf Schüler/innen einen Computer. Dabei entstehen für eine Schule durchschnittlicher Größe (750 Schüler) Kosten zwischen 70.000 Euro und 136.000 Euro pro Jahr. Soll jede Schülerin bzw. jeder Schüler ein eigenes Gerät bekommen, liegen die Kosten bereits zwischen 240.000 und knapp 350.000 Euro pro Jahr und Schule. Bundesweit entstehen so Kosten von 538 Mio. bis zu 2,62 Mrd. Euro pro Jahr, nur für Hardware. Darin sind weder die Kosten für Techniker und Updates oder Softwarelizenzen eingerechnet. Es sind weder Räume geheizt noch Lehrkräfte für den Einsatz ausgebildet oder bezahlt. Nebenbei bürdet man den Ländern ein Vielfaches an Folgekosten für Techniker, Instandhaltung, Updates, Softwarelizenzen auf und greift damit indirekt auf Landesmittel zu.
Frau Wanka unterstellt, dass Computer und IT „das richtige Werkzeug für gute Bildung im 21. Jahrhundert“ seien. Wie sie zu dem Ergebnis kommt, bleibt ihr Geheimnis. Es gibt keine wissenschaftlich valide Studie, die den Nutzen von Digitaltechnik im Unterricht belegen könnte. Alle bekannten Studien zeigen vielmehr das Gegenteil, zuletzt die OECD-Studie „Students, Computers and Learning“. Zitat: „Die verstärkte Nutzung digitaler Medien führt offensichtlich nicht per se zu besseren Schülerleistungen. Vielmehr kommt es auf die Lehrperson an.“ In der gleichen OECD-Studie steht, wie man Schüler/innen sinnvoll fördert, wenn man Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit stärken will: durch die „Förderung von Grundkenntnissen in Rechnen und Schreiben“. Das trage mehr zur „Angleichung von Bildungschancen bei als die Ausweitung und Subventionierung von Zugang zu High-Tech Geräten und Dienstleistungen“, so die OECD.
Im „Gegenzug für die finanzielle Unterstützung“ werden Zugeständnisse eingefordert, die einen massiven Eingriff in das Berufsbild und das Selbstverständnis des Unterrichtens bedeuten. Lehrerinnen und Lehrer sollen z.B. für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht ausgebildet werden. Das verkürzt auf digitale statt allgemein „Medien im Unterricht“. Zugleich wird Digital- als Medientechnik im Unterricht verpflichtend vorgeschrieben, was ein direkter Eingriff in die Lehr- und Methodenfreiheit der Lehrenden ist. Es wird dabei weder nach Alter, Schulformen noch Lehrinhalten differenziert, was aus pädagogischer wie entwicklungs- oder lernpsychologischer Sicht nur defizitär zu nennen ist.
Die Aufgabe, Konzepte für einen „digitalen Unterricht“ zu entwickeln, verkennt bereits im Grundsatz, dass es weder „digitalen Unterricht“ noch „digitale Bildung“ gibt. Der Begriff Unterricht verweist zwingend auf Lehrende und Lernende. Bildung ist zwingend an eine Person gebunden, nicht an technische Speicherformate. Wer für das Bundesministerium für Wissenschaft formuliert, sollte semantisch korrekt unterscheiden zwischen „digitale Medien im Unterricht“ und Selbstlernphasen mit digitalen, genauer: elektronischen Geräten und Medien.
Zu unterscheiden ist weiter zwischen Offline- und Onlinemedien, wobei für Onlinemedien der permanente Rückkanal und das Speichern und Auswerten aller Daten (Stichwort Big Data Mining) charakteristisch ist. Die psychometrische Vermessung des Menschen und kleinteilige Lernstandskontrollen sind die Basis für das sogenannte „individualisierte und personalisierte Lernen“: Algorithmen berechnen die nächsten Aufgaben mit Hilfe von Mustererkennung und Statistik. De facto wird der Mensch selbst zum Datensatz. Die fehlenden Datenschutzbestimmungen beim Sammeln und Auswerten dieser Daten machen den Einsatz dieser Techniken für Schulen ebenso ungeeignet wie das zugrundeliegende Konzept der „digital gesteuerten Produktion von Humankapital mit evaluierten Kompetenzen“. Und nicht zuletzt: Das individuelle Arbeiten an Lernstationen vereinzelt und löst die Klassen- als Sozial- und Solidargemeinschaft auf. Sozial isoliert aber wird der Mensch anfällig für Einflussnahmen – und sei es durch eine Computerstimme.
Wer die Einigung auf gemeinsame technische Standards und die Wartung bzw. den Betrieb der digitalen Infrastruktur ins Pflichtenheft der Lehrerinnen und Lehrer schreibt, verkennt die Komplexität der Aufgabe. Ein Beispiel: Seit 2009 wird an der Software für das „Dialogorientierte Serviceverfahren“ gearbeitet, das bundesweit die Vergabe der zulassungsbeschränkten Studienplätze einheitlich regeln soll. Das System hat bis heute 15 Mio. Euro gekostet. 2016 sind 19% der Studienplätze über diese Plattform verfügbar. Bei diesem System geht es „nur“ um ca. 4000 Studiengänge an 426 Hochschulen. Die Koordination technischer Systeme an 40.000 Schulen bundesweit dürfte aufwendiger sein.
Dass Frau Wanka auch juristisch Neuland betritt –Schule und Bildung sind an sich Ländersache – rundet das Gesamtbild ab. Ihr Eintreten für IT an Schulen ist dabei eine Konstante – im Jahr 2000 warb sie für Laptopklassen, im Jahr 2009 für Tablet-Klassen. Nun versucht sie als Bundesministerin über den Artikel 91c das Kooperationsverbot zu umgehen. Das mag juristisch originell sein – ob es rechtlich gültig ist, wird gerade geprüft. Dafür hetzt sie die chronisch und systematisch unterfinanzierten Schulen gegeneinander auf. Denn der „Geldsegen“ werde nicht gleichmäßig verteilt, sondern nur an die Schulen, die ein entsprechendes Konzept für „digitale Bildung“ einreichen. Die Doppelstrategie dahinter: Zum einen werden nur die genehmen Konzepte gefördert, zum anderen sorgt man für die systematische Entsolidarisierung von Schulen und Kollegien, die mit ihren Konzepten gegeneinander antreten müssen.
Der „Digitalpakt#D“ ist Teil einer Neudefinition von Schule und Unterricht auf dem Weg zu einer zunehmend vollautomatisierten, digital gesteuerten „Lernfabrik 4.0“. Lehrkräfte werden zu Sozialcoaches und Lernbegleitern degradiert. Statt Unterricht ist die automatisierte Belehrung durch Computerprogramme und Sprachsysteme das Ziel. Diese Konzepte kommen nicht aus der Pädagogik, sondern aus der Kybernetik und dem Behaviorismus. Die Konzepte sind nicht neu, es ist das “programmierte Lernen“ der 1960er Jahre, nur mit aktueller Rechnertechnologie und Big Data Mining als Kontroll- und Steuerungsinstanz im Hintergrund. Es sind keine Schulen, sondern webbasierte, algorithmisch berechnete Lernkontrollszenarien. Wohlhabende Amerikaner, darunter die meisten Führungskräfte aus dem Silicon Valley, schicken ihre Kinder daher auf Schulen mit realen Lehrkräften und unterbinden so, dass ihre Kinder automatisiert von Software und Sprachsystemen beschult werden. „Internetkonzerne und Geheimdienste wollen den determinierten Menschen.“ schrieb EU-Präsident Martin Schulz schon 2014.“ Wenn wir weiter frei sein wollen, müssen wir uns wehren und unsere Politik ändern.“ Das gilt besonders für die Bildungspolitik, die sich von der Fixierung auf Digitaltechnik lösen und sich wieder den Menschen und ihren Lern- und Bildungsprozessen zuwenden muss, damit auch die kommenden Generationen eine humane und demokratische Zukunft haben.
P.S. Die Frage der Digitalisierung stellt sich bei berufsbildenden Schulen anders. Auszubildende sind junge Erwachsene, denen ein höheres Maß an Medienmündigkeit zugetraut und zugemutet werden kann. Diese Schulen müssen technologisch auf dem neuesten Stand sein, um berufsqualifizierend und praxisnah ausbilden zu können.
V.i.S.d.P./Ansprechpartner: Prof. Dr. R. Lankau, Fakultät M+I, HS Offenburg, Badstr. 24, 77652 Offenburg; Dr. Matthias Burchardt, Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologieund Pädagogik der Lebensspanne, Universität zu Köln, Albertus-Magnus-Platz, 50931 Köln; Peter Hensinger, Bismarckstr. 63, 70197 Stuttgart
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