Schulen ans Netz?

Warum ein Experte das Gegenteil fordert. Die Digitalisierung an Schulen wird zum Teil massiv kritisiert. Der Medienwissenschaftler Ralf Lankau hält wenig von der aktuellen Politik. Er ist überzeugt, dass für das Schulsystem weniger Internet besser ist. Neue Presse Hannover, 15.11.2019. Ralf Lankau ist Medienwissenschaftler und Dozent an der Hochschule Offenburg. Im Interview mit der NPH spricht er darüber, wie Digitalisierung an Schulen funktionieren kann.

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Schulen ans Netz? Warum ein Experte das Gegenteil fordert

Neue Pressse (NPH): Digitalisierung an Schulen steht in der Kritik. Lehrkräfte klagen, dass sie sich im Stich gelassen fühlen. Ist das berechtigt?

Ralf Lankau (RL): Auf jeden Fall. Im Moment geht es ausschließlich darum, digitale Technik in die Schulen zu drücken. Für Lehrkräfte soll es mit dem „Digitalpakt Schule“ verpflichtend werden, mit Bildschirm zu arbeiten. Erst waren es PCs, dann Laptops, heute Tablets. Was aber fehlt, sind pädagogische Konzepte und Schulungen. Das ist fatal, denn den Lehrkräften ist weder klar, wozu die Geräte gut sein sollen noch, wie und was sie damit unterrichten sollen. Sie müssen eine Medien-Einsatzstrategie entwickeln statt fachlich zu unterrichten. Die eigentlichen Aufgaben bleiben auf der Strecke. Die Lehrkräfte werden immer mehr zum Kontrolleur von Medienarbeitsplätzen.

NPH: Das klingt sehr kritisch. Heißt das, Digitalisierung kann gar nicht funktionieren?

RL: Zumindest nicht, wenn die Schulen am Internet angeschlossen sind. Der Anschluss ans Netz dient dazu, Daten von Schülerinnen und Schülern zu sammeln. Mit dem Digitalpakt wird die Infrastruktur aufgebaut, dann kann man Inhalte in der Cloud bereitstellen. Schon heute greifen Lehrkräfte auf Unterrichtseinheiten aus der Wirtschaft zurück. 16 der 20 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland produzieren Unterrichtsmaterialien. Da kann es dann vorkommen, dass mit Materialien der Deutschen Bank zum Bankenwesen unterrichtet wird. Das ist nicht unbedingt falsch, aber eben nicht objektiv. Um Kinder und Jugendliche zum kritischen und reflektierten Denken anzuregen, muss man beim Unterrichtsmaterial besonders sensibel sein.

NPH: Also ist die Digitalpolitik falsch?

Aus pädagogischer Sicht ist die derzeitige Strategie aus Zwangsdigitalisierung mit Fünfjahresplänen nicht zu verantworten. Neben gesundheitlichen Schäden, die wissenschaftlich belegt sind, zeichnet sich bereits ab, dass Kinder, die zu früh vor Bildschirmmedien sitzen, wesentlich schlechtere Fähigkeiten beim Lesen, Schreiben, der Feinmotorik und Sprache entwickeln. Ich bin sogar davon überzeugt, dass Kinder mit der aktuellen Digitalpolitik dazu erzogen werden, genau das zu tun, was Maschinen ihnen vorgeben. Das ist mediale Entmündigung. Erziehung zur Selbstständigkeit und Eigenverantwortung kann nicht gelingen, wenn Software vorgibt, was man tun soll. Wir steuern auf eine Veränderung des Schulsystems zu: Automatisiertes Beschulen und Testen, statt Unterrichten – zumindest in öffentlichen Schulen.

NPH: Das müssen Sie genauer erklären.

RL: Wenn wir weitermachen wie bisher, wird sich das System in staatliche und private Schulen spalten. Die Eltern, die nicht möchten, dass ihre Kinder vor digitalen Medien geparkt werden und es sich leisten können, werden sie an Privatschulen anmelden. Dort können sie sicher sein, dass man sich für ihre Kinder Zeit nimmt und sie analog unterrichtet.

NPH: Wie muss Digitalisierung an Schulen dann funktionieren?

RL: Die Schulen müssen dringend vom Netz genommen werden. Der Unterricht darf nur auf einem eigenen Server, also im Intranet stattfinden, dort kann man sicher sein, dass die Daten nicht missbraucht werden. Darüber hinaus muss das Material vom Kultusministerium festgelegt worden sein. Die Politik muss sich also ganz eindeutig Gedanken darüber machen, in welchem Bereich man auf Digitalisierung setzen will. Medien können beispielsweise im künstlerischen und naturwissenschaftlichen Bereich ein unterstützendes Werkzeug sein, aber in sprachlichen Fächern schließt sich die Nutzung komplett aus. Außerdem empfiehlt es sich, Medien erst ab dem 14. Lebensjahr einzusetzen. Erst dann sind Kinder in der Lage konstruktiv mit Medien zu arbeiten. In der Zeit davor sollte man ihnen theoretische Medienkritik beibringen. Kinder haben ja schließlich auch schon Verkehrskunde, bevor sie dann Auto fahren dürfen.